Wirklich zu Hause fühlt sich der EM-Gastgeber in seinem Land nicht überall. "Das ist nicht mehr mein Stadion", sagt Oleg Blochin über das runderneuerte Kiewer Olympiastadion. Ihm gefällt der moderne Schnickschnack nicht. Als Spieler feierte der sowjetische Jahrhundertstürmer hier einst Welterfolge. Jetzt ist Blochin ukrainischer Nationaltrainer und setzt selbst nach dem starken Auftritt seiner Mannschaft beim 3:3 gegen Deutschland verbal auf Defensive: "Meine Spieler waren am Ende einfach erschöpft", sagt er entschuldigend.

Anders als seine Mannschaft kann der 59-Jährige offenbar nicht mehr so schnell von Abwehr auf Angriff umschalten. Über "eine Truppe aus Rumpelfußballern" hatten ukrainische Journalisten vor dem Einweihungsspiel der EM-Finalarena gelästert. Blochin verteidigte sich mit dem Verletzungspech. Nach dem Spiel sagt er selbst: "Ich bin unzufrieden mit dem Ergebnis." Verständlich, hat doch die Ukraine eine Führung verspielt und viele Chancen vergeben.

Das soll am Dienstag anders werden. Dann gastiert Österreich im westukrainischen Lemberg (Lwiw). "Wir werden bis zum Umfallen kämpfen", kündigt Blochin an und warnt zugleich vor den Österreichern: "Sie haben eine starke Mannschaft." Zumindest vom Stadion wird Blochin nicht enttäuscht sein, denn dort war der sowjetische Rekordteamspieler nie heimisch. Außerdem wird in Lemberg eine nagelneue Arena eingeweiht - anders als in Kiew.

Dass in Lemberg alles frisch ist, mag allerdings kaum glauben, wer sich dem Stadion nähert. Keine Frage: Architektonisch ist die noch namenlose Arena ein Schmuckkästchen wie die anderen sieben in der Ukraine und Polen auch. Allerdings wird noch geschraubt. "Wir brauchen manchmal etwas länger, aber am Ende geht es zackig", sagt Bürgermeister Andrij Sadovyj. Die Anfahrt zum Stadion führt durch einen Vorort, in dem Plattenbauten vor sich hinrotten und die Straßen mit Schlaglöchern übersät sind. Das Stadionumfeld wird man bis zur Euro kaum noch sanieren können, auch wenn Sadovyjs Leute noch so auf Zack sind. So hoffen die Gastgeber, dass nicht allzu viele Kameras diese Bilder einfangen. "Was wir 2012 zur Euro sehen werden, sind oft Potemkinsche Dörfer", sagen manche. Fürst Grigori Potemkin war jener Feldmarschall, der Zarin Katharina die Große vor fast 250 Jahren auf einer Reise durch die damals russische Ukraine vermeintlich hochmoderne Siedlungen vorführte. Von den Potemkinschen Dörfern allerdings standen nur die Fassaden . . .

Wenn die Österreicher nach Lemberg kommen, sollten sie besser Gummistiefel als Fußballschuhe einpacken", lästern westliche Beobachter. Aber es könnte im ungünstigsten Fall auch schlimmer kommen: "Die Sicherheitslage in der Ukraine ist ein Problem", sagen die Berater, die namentlich nicht genannt werden wollen. "Die Ukrainer wollen zwar Tipps haben, aber keine Kritik hören", erklären sie. Die größte Schwierigkeit bestehe im "Übereifer der Polizei". In der Ukraine seien die Sicherheitskräfte für Abschreckungsszenarien geschult. Während die UEFA auf maximale Polizeipräsenz bei minimaler Sichtbarkeit vertraue, laute die "sowjetnostalgische Devise" in der Ukraine: "Knüppel drauf und Schluss."

Dabei ist die Hooligan-Problematik weniger dramatisch als beim Co-Gastgeber Polen. In Lemberg hatten sich Hooligans zwar 2010 nach dem Europacup-Spiel Karpati Lwiw gegen Borussia Dortmund ebenfalls Straßenschlachten geliefert. Doch allzu viele Krawallmacher gibt es in der Ukraine nicht. Nur: Wenn bei der Sicherheit etwas schiefgeht, interessiert der Rest niemanden mehr. Der Rest - das sind fröhliche Fans, attraktive Städte und gastfreundliche Menschen. Lemberg, wo mehrere Gruppenspiele der Euro 2012 ausgetragen werden, kann mit all dem aufwarten. Die westukrainische Multi-Kulti-Metropole mit österreichischen, polnischen, jüdischen, deutschen und russischen Wurzeln steht nicht von ungefähr auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco. "Wir bieten nicht nur Fußball, sondern auch eine reiche 700-jährige Geschichte", sagt Bürgermeister Sadovyj. Skeptikern verspricht er: "Keine Angst, es wird alles fertig."