Philipp Lahm weiß am besten, welche Entwicklungsschritte der Fußball in den vergangenen zehn Jahren vollzogen hat. Und ganz besonders ausgewiesen ist seine Fachkenntnis in dieser Frage am deutschen Fallbeispiel. Am Freitag bestreitet der Kapitän der Nationalmannschaft gegen Österreich in "seinem" Heimstadion des FC Bayern, der Münchner Allianz-Arena, sein 100. Länderspiel. In seinem Premierenjahr 2004 war ein fußballerisch ziemlich limitiertes deutsches Team in der Vorrunde der Europameisterschaft in Portugal sang- und klanglos ausgeschieden, zehn Jahre später haben Lahm und seine Kollegen den WM-Titel fest im Visier.

Aber vorher ist eine Qualifikation zu Ende zu spielen und Lahm ist sich dessen bewusst. Die Frage, ob Deutschland seit Südafrika 2010 und Polen/Ukraine 2012 an Potenzial zugelegt habe, verneint der 29-Jährige nicht. "Wir sind sicher in der Lage, in Brasilien den Titel zu holen, aber jetzt müssen wir uns einmal qualifizieren."

Lahm war als spielerischer Teilhaber einer der unmittelbarsten Zeitzeugen der deutschen Fußballwende. Wurde in früheren Zeiten (meist, nicht immer) die Regel befolgt, sich glücklich den Sieg zu erstreiten, zu welchem fußballerischen Dumpingpreis auch immer, wurde nun die Attraktivität zu einem der obersten Prinzipien erhoben. Das Angriffsspiel hat sich enorm entwickelt in der Ära des Jogi Löw, doch in der jüngeren Vergangenheit traten - abgesehen vom noch nicht gewonnenen Titel - auch Schattenseiten zutage. Die Defensive ist arg ins Wanken geraten. Das 4:4 gegen Schweden zählt doppelt, denn die übrigen betroffenen Partien waren Freundschaftsspiele und wurden nicht in stärkster Besetzung ausgetragen.

Defensiv-Arbeit

Doch neun Gegentore in den vergangenen drei Partien (Ecuador, USA, Paraguay) reichen aus für harsche Kritik am Löw'schen Konzept. "Wir haben die Defensive in Angriff genommen", rutschte Lahm zur Verteidigung des Teams ein Bonmot über die Lippen. Denn die Spieler wissen inzwischen, dass auch Österreich zum Angriff übergehen kann. Einhelliger Tenor in der deutschen Auswahl: Noch nie waren sie, die Österreicher, ihnen, den Deutschen, so nahe wie jetzt. "Sie sagen seit Jahren, ,Jetzt packen wir's', und sie sind uns immer einen Schritt nähergekommen. Aber sie haben es noch nicht geschafft, und wir wollen klarstellen, dass es auch diesmal noch nicht so weit ist", meinte Thomas Müller, der Schmähbruder im deutschen Team, der auch sagte, das Schönste sei, 80 Minuten ein 1:0 zu verteidigen.

Gute Stimmung wird mit vielen Lachern nach außen transportiert. Das überdeckt etwas die tagelange Unruhe durch den im deutschen Lager kaum verstandenen Wechsel des Mesut Özil von Real Madrid zu den "Gunners" von Arsenal. Auch die vielen Ausfälle (Schweinsteiger, Podolski, Götze, Bender etc.) werden heruntergespielt. Österreich sei zwar ernst zu nehmen, Überheblichkeit ist auch nicht zu spüren. Aber wirkliche Sorgen, so die generelle Einstellung, macht sich um dieses Match in Deutschland kaum jemand.