Ihre Reaktion nach dem Spiel in Mattersburg und nun ihre Selbstkritik nach der 0:1-Niederlage gegen die Wiener Austria überrascht den einen oder anderen fußball-Interessierten in Österreich. Wie kommt es zu solchen Äußerungen?

Nestor El Maestro: Es ist mir klar, dass ich häufig ungewöhnlich rüber komme. Das ist dem geschuldet, dass wir unterschiedliche Ausgangslagen haben. Die Gedanken des Fragestellers und mir als Trainer sind total abweichend. Meine Motivation ist es, so lange wie möglich Trainer bei Sturm Graz zu bleiben. Und so lange meine Position nicht infrage gestellt wird - und das ist derzeit der Fall -, ist alles in Ordnung.

Sie können aber offenbar mit Alibi-Antworten gar nichts anfangen, oder?
El Maestro: Soll ich dieselben Sätze erzählen wie immer?! Bei mir ist im Hinterkopf: Ich will Aufbruchstimmung, Furore, großen Enthusiasmus, Europa League, dritter Platz, Pokalsieg. Und deswegen komme ich vielleicht enttäuschter rüber, als die Medien erwarten. Es wird aber immer falsch interpretiert. Die Leute meinen, ich bin total ungern hier. Das ist falsch! Ich bin total gerne hier. Aber mit der Motivation, ein bisschen zu reizen, etwas Großes zu erreichen. Und wenn das nicht so passiert und gelingt, bin ich persönlich eben enttäuscht.

Nochmals Alibi geht gar nicht?
El Maestro: Ich sitze in einer Pressekonferenz mit einem Trainer, der mit einem größeren Verein elf Punkte  nach zehn Spielen hat und alle glauben, es ist alles super, weil sie gewonnen haben. Ich arbeite mit einem kleineren Verein, der 16 Punkte hat und fühle mich wie am Ende der Welt. Ich dachte, ich bin hier im falschen Film. Aber nochmals: Man sollte meinen persönlichen Anspruch nicht mit der Realität oder dem Anspruch des Vereins verwechseln.

Das ist also schlicht echte Enttäuschung vor der TV-Kamera?
El Maestro: Man redet mit der Mannschaft in der Kabine und mit den Vereinsverantwortlichen unter vier Augen. Es ist aber auch so, dass alles, was die Spieler in den Medien sagen oder ich sage, oder Günter (Sport-Geschäftsführer Günter Kreissl, Anm.) sagt, auch eine Art der Kommunikation ist. Nicht alles, was ich sage, ist so spontan wie es scheint. Das gebe ich zu. Wenn man mich nach Schauspielerei fragt? Ja, in diesem Sinne gibt es davon schon ein bisschen.

Ein nicht so gutes Schauspiel lieferte ihre Mannschaft bei der Austria ab. Was war los?
El Maestro: Wenn ich sage, ich bin der Hauptverantwortliche und ich muss mich steigern, ist das so. Mir ist die Eigenverantwortung bewusst. Ich hoffe auch, dass sich jeder Spieler fragt, welche Verantwortung er hat. Die ganze bisherige Saison betrachtet, war alles ordentlich, aber nicht perfekt. Wir haben alle größeren und engen Spiele verloren. Gegen Rapid ist im Spiel nichts passiert, wir haben verloren. Gegen den LASK ist nichts passiert und wir verlieren nach einem Einwurf. Die Austria, da ist nichts passiert und wir verlieren dieses Spiel. Die Häufigkeit der Ereignisse ist zu groß. Wir gewinnen nur Spiele, wenn für uns alles perfekt läuft, wenn wir zum richtigen Zeitpunkt die Tore schießen und absolut überlegen sind. Zwei Fragen stellen sich mir: A: Warum schaffen wir es nicht häufiger, souverän zu spielen? Und B: Warum schaffen wir es nicht, enge Spiele  für uns zu entscheiden? Das ist auch eine Mentalitätsfrage.

In der Mentalitätsfrage liegt ihr Ansatzpunkt für die kommenden Wochen?
El Maestro: Viele ausländische Trainer in Österreich sind ein bisschen verwundert, wie schnell man hier zufrieden ist. Ich werde an der Eigenmotivation jedes Einzelnen arbeiten. Da ist uns etwas verloren gegangen.

Sie persönlich brennen innerlich lichterloh?
El Maestro: Deine eigenen Ambitionen müssen so unrealistisch hoch sein. Und wenn du die nur zum Teil erreichst, ist das okay. So bin ich, so bleibe ich. Das wird sich nicht ändern. Ich bin in die Slowakei gegangen, zu einem Tabellensechsten - und wollte die Liga zerstören. Das ist gelungen. In Bulgarien wollte ich Meister werden, mit einer Mannschaft die schon lange nicht mehr Meister geworden ist. Das ist nicht gelungen, ich wurde Zweiter. Ich komme hierher und will für Furore sorgen. Und Furore ist der dritte Platz. Das versuchen wir. Darauf richtet sich mein Blick. Der Unterschied von mir zu einigen anderen Trainern ist: Ich sage es auch ehrlich.

Im österreichischen Fußball wird in der Öffentlichkeit zu wenig ehrlich gesprochen?
El Maestro: Wenn etwa einer der Wiener Vereine sagt, dass der Fokus nicht auf Platz drei liegt, ist es gelogen. Das ist sowas von gelogen. Das muss deren Anspruch sein und dann soll man das auch so sagen.

Nach der zweiwöchigen Länderspielpause heißt der Gegner Salzburg. Welche Ambitionen haben Sie in diesem Spiel?
El Maestro: Natürlich einen Sieg! Aber jeder weiß, welche Qualität die Salzburger haben. Es ist aber auch ein Spiel, in dem wir nichts zu verlieren haben. Wenn wir es schaffen, wie ein großer Verein aufzutreten, ist immer etwas möglich.