Seit 1. Juli trainiert Giuseppe Giannini (48) die libanesische Fußball-Nationalmannschaft. Die WM in Brasilien ist kein Thema mehr, das Ziel ist der Asien-Cup. Und als Vorbereitung wünscht sich der ehemalige italienische Weltklassefußballer ein Vorbereitungsspiel gegen seinen Ex-Klub: Sturm Graz.

Signor Giannini, in Österreich will keiner Fußball spielen, so heiß ist es. Wie darf man sich die Bedingungen in Beirut vorstellen?

GIUSEPPE GIANNINI: Eigentlich ist es bei uns gar nicht so heiß. Es hat 30 Grad, um einige Grad weniger als in Österreich. Ich habe aber von der Affenhitze gehört.

Haben Sie auch von Sturms Waterloo gegen Breidablik gehört?

GIANNINI: Ich habe ein paar Mal versucht, Darko Milanic telefonisch zu erreichen, aber er hat nie abgehoben. Jetzt kenne ich wohl den Grund.

Kein wirklich guter Einstieg für Ihren ehemals besten Freund und 24-Stunden-Dolmetscher?

GIANNINI: Es braucht Zeit und Geduld, um ein Team zu formen. Das geht nicht von heute auf morgen. Leider will das keiner wahrhaben. Ich stehe im Nahen Osten vor derselben Herausforderung. Brasilien ist kein Thema mehr, Libanon ist Gruppenletzter. Ich soll eine neue Generation Spieler ausbilden - als Basis für eine bessere Zukunft.

Was wollten Sie von Milanic?

GIANNINI: Ich wollte hören, wie es ihm geht und ob er Lust hat, gegen uns zu spielen. Wir brauchen für 11. September einen starken Gegner. In Österreich ist Länderspielpause - und Darko schuldet mir noch einen Gefallen.

Wo würden Sie spielen? In Graz oder in Beirut?

GIANNINI: Das darf sich Darko aussuchen - aber mir wäre Graz lieber.

Haben Sie mit Graz nicht noch eine Rechnung offen?

GIANNINI: Nach 15 Jahren bei AS Roma war Sturm 1996 meine erste Erfahrung im Ausland. Ich war damals 32 und ich bin leider Gottes ohne Vorbereitung in die Meisterschaft gegangen. In Italien beginnt die Saison im September, hier zwei Monate früher. Das war mein Handicap. Aber immerhin: Wir wurden Supercup-Sieger und mir sind ja auch ein paar Tore gelungen.

Deshalb das Testspiel gegen Sturm?

GIANNINI: Ich reaktiviere mein internationales Netzwerk. Libanon ist eine technisch versierte und schnelle Mannschaft. Was uns fehlt, ist die taktische Erfahrung. Dafür braucht es Spiele, Spiele und noch einmal Spiele.

Was ist Ihr nächstes Ziel?

GIANNINI: Wir treffen am 15. Oktober und am 15. November auf Kuwait. Diese beiden Spiele sind für die Qualifikation für den AFC Asian Cup 2015 ausschlaggebend, da wollen wir dabei sein.

Wie wurden Sie eigentlich Nationaltrainer im Libanon?

GIANNINI: Mein Kumpel Mancini hatte mir den Tipp gegeben.

Roberto Mancini, Ex-Meistertrainer von Inter Mailand und Manchester City?

GIANNINI: Ja, Roberto war sechs Jahre mein Zimmernachbar im Team. Er ist hier gut verlinkt und genießt hohe Reputation. Youssef Mohamad, der Kapitän der Nationalmannschaft, ist beispielsweise ein enger Freund.

Zwischen Bomben und Bällen - wie sieht da Ihr Alltag aus?

GIANNINI: Als ich herkam, hatte ich ein gewisses Bild, ein Klischee von Beirut im Kopf: Ein Mann und drei Frauen fahren in einem offenen Auto jenseits der Damaskus-Straße durch die Trümmer Beiruts. Jetzt lerne ich jeden Tag etwas Neues. Boulevards, enge Gassen, geschäftiges Treiben in den Teestuben - das Zentrum von Beirut, das ?Paris des Nahen Ostens', ist fantastisch.

Der zweite Libanon-Krieg ist nicht lange her. Wie kann man in einem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land Begeisterung entfachen?

GIANNINI: Der Libanese ist fußballverbunden. Ich war in Doha, beim Spiel Katar gegen Libanon. 3000 Libanesen waren dabei, da ging die Post ab. Als Libanon 2012 den favorisierten Iran mit 1:0 geschlagen hat, soll das ganze Land kopfgestanden sein. Ein völlig neues Gefühl schwappte durch das Land: Nationalstolz.

Glauben Sie, dass Fußball Brücken bauen kann?

GIANNINI: Der Ball ist der kleinste gemeinsame Nenner und die einfachste Kommunikationsform. Ich glaube an den Fußball als simples Spiel. Er verbindet. Für den Westeuropäer ist die Realität hier schwer zu begreifen. Unruhen, ständige Unsicherheit, zig unterschiedliche Religionsgruppen - Schiiten, Christen, Sunniten - wie soll das gehen? Und dann noch unbekümmert Fußball spielen? Für die Menschen hier sind die Bomben aber Teil des Alltags. Genauso wie Fußball. Er bietet den Libanesen die Chance, sich als Nation zu erleben.