Andreas Ogris betritt eiligen Schrittes das Viola-Pub, das im Bauch der Generali-Arena beheimatet ist. Der 50-Jährige ist fast so schnell unterwegs wie früher, als er der Austria und dem Nationalteam als Flügel flitzender Kapitän vorstand und in Spanien seinen Kollegen bei Espanyol Barcelona Privatunterricht in Wiener Schmäh und Schwarze Katz’, einem Kartenspiel, gab.

Was die wenigsten vermuten würden: Ogris ist einer der am besten ausgebildeten Trainer in Österreich. Die Lizenzen erlauben ihm, morgen Bayern München und nach dem Triple Juventus Turin zu coachen. Doch frei nach Heidi: Seine Welt sind die Zwerge, und zwar in Form der Austria-Amateure. „Es macht mir unheimlich Spaß, Talente zu formen und ihnen ein vernünftiges Rüstzeug für die Kampfmannschaft zu verpassen“, sagt der Wiener, der nach der Ablöse von Trainer Baumgartner „Feuerwehrmann“ in der Bundesliga spielen muss. „Selbst wenn es gut läuft, werde ich nach Saisonende zu den Amateuren zurückkehren. Das ist so ausgemacht. Und ich sehe das nicht als Rückschritt.“

Was verstehen Sie unter gut laufen, Herr Ogris?
ANDREAS OGRIS: Im Cup stehen wir im Semifinale. Noch zwei Siege, und wir sind im Europacup. Den können wir auch noch in der Meisterschaft erreichen, wenn wir eine Serie hinlegen.

Dafür müssten Sie vorrangig zwei Mal den WAC schlagen. Am Sonntag daheim in der Liga, und dann auswärts im Cup-Semifinale. Die heurige Bilanz gegen die Kärntner ist mit 0:3 schauderhaft.
OGRIS: Das war vor meiner Zeit. Und über die Vergangenheit denke ich nicht nach.

Sie werden zwei Mal Didi Kühbauer treffen. Sehen Sie ihn immer noch als Rivalen, so wie früher?
OGRIS: Er war einer der wenigen, die mir alles Gute gewünscht haben, als ich Austria-Trainer wurde. Wir sind nicht die dicksten Freunde. Aber wenn es die Zeit zulässt, trinken wir zusammen ein Bier. Ein kleines.

Ihre Bilanz nach drei Spielen lautet eine Niederlage, ein Sieg im Cup und ein Remis. Was, wenn Sie Ihre Ziele verfehlen? Haben Sie keine Angst, dass Sie sich als Einspringer die Zukunft verbauen?
OGRIS: Nein, hab ich nicht. Klar ist es eine Auszeichnung, für die Erste verantwortlich zu sein. Ich habe kein Problem damit, unterklassig zu arbeiten. Ich muss nicht im Rampenlicht stehen.

Wenn Ihnen vor zwanzig Jahren jemand gesagt hätte, dass Grödig, Altach, Wr. Neustadt und WAC zeitgleich in der höchsten österreichischen Liga mitspielen – was hätten Sie dem geantwortet?
OGRIS: Nix. Wenn sich Mannschaften sportlich qualifizieren, müssen wir damit leben. Die Zeiten, als es Austria und Rapid und dann gar nichts mehr gegeben hat, sind längst vorbei. Früher wollte jeder bei den Wiener Top-Klubs spielen, heute ist das egal. Etliche machen ihren Weg über Sturm Graz. Dort wird auch super gearbeitet.

Als der Schweizer Marcel Koller Teamchef wurde, haben viele österreichische Ex-Kicker gemeint: Wos brauch ma den? Wie war ihre Einstellung?
OGRIS: Ich war auch sehr skeptisch. Aber er hat eine Mannschaft geformt, die echt guten Fußball spielt und damit all seinen Kritikern das Maul gestopft.

Ogris:
Ogris: "Die Zeiten, als es Austria und Rapid und dann gar nichts mehr gegeben hat, sind längst vorbei." © GEPA pictures

Ist der Teamchef-Posten für Sie irgendwann ein Thema?
OGRIS: Im Fußball darf man sich keine längerfristigen Ziele setzen. Man kriegt zwar einen Dreijahresvertrag, aber sie können dich jederzeit nach drei Monaten stanzen. So ist das Tagesgeschäft.

Es gibt jetzt so eine Art Boom ums Team, oder?
OGRIS: Ja. David Alaba hat einen Hype ausgelöst. Immer, wenn wir so einen Top-Mann gehabt haben, sind die im Ausland draufgekommen, dass die Österreicher doch ein bissl kicken können.

Hätten Sie mit Marko Arnautovic auch so viel Geduld gehabt wie Marcel Koller?
OGRIS: Bei dem brauchst du als Trainer ein dickes Fell. Großes Potenzial, viel zu selten abgerufen. Es scheint, als entscheidet er sich gerade, Entertainer auf dem Feld zu sein und nicht außerhalb des Platzes.

Gibt es noch richtige Typen im Fußball, wie Sie einer waren?
OGRIS: Die sind ausgestorben. Weil sich die Zeiten geändert haben. Heute haben viele Matura – was nicht heißt, dass wir lauter Trotteln gewesen wären. Wir sind nach dem Spiel halt gerne fortgegangen. Das würde die jetzige Generation auch gerne tun, aber es traut sich niemand. Weil ein Foto mit dem Smartphone schnell gemacht ist. Es gibt keine Privatsphäre mehr. Also scheint es, dass der Lebenswandel professioneller geworden ist.

Auch von der Figur her schaut ein Fußballer anders aus als vor 20 Jahren, oder?
OGRIS: Klar. Die meisten legen Extraschichten in der Kraftkammer ein. Du musst super trainiert sein, sonst rennen sie dir in der vierten Liga den Schädel ein. Zu meiner Zeit wurde Kraft auf dem Platz trainiert. Sit-Ups, Rückenmuskelübungen, Liegestütz – das war meine Kraftkammer.

Vor und nach der Partie sieht man kaum Spieler ohne Kopfhörer. Sind Fußballer Egoisten geworden?
OGRIS: Das ist die Zeit. Manchmal wird es mir zu viel und ich fahre die Burschen an: Habt ihr euch nichts zu erzählen? Und dann sitzen sie beisammen in Kleingruppen. Die Jungen, die Alten, die Ausländer und die Unzufriedenen. Nur auf dem Platz treten sie als Mannschaft auf.

Und wo sitzen Sie?
OGRIS: Auf dem Schleudersitz. Wie jeder Trainer.

INTERVIEW: HARALD SCHUME