Südafrika scheint nicht gerade der fruchtbarste Boden für die Offensivkünste von Europameister Spanien zu sein. Im Vorjahr setzte es für "Furia Roja" im Confederations-Cup gegen die USA die einzige Niederlage seit November 2006, nun sind die Spanier um eine Niederlage reicher: Gegen leidenschaftlich kämpfende Schweizer verlor der große Titelfavorit am Mittwoch in Durban unglücklich mit 0:1 - die erste Sensation dieser WM und der erste Sieg der Schweizer gegen Spanien überhaupt.

Saint-Etienne-Legionär Gelson Fernandes (23) war es, der die Alpenrepublik jubeln lässt. Sein Tor in der 52. Minute stellte den Spielverlauf völlig auf den Kopf: 90 Minuten rannte der überlegene Europameister bei seinem ersten Auftritt in Südafrika an, ohne Erfolg. Perfekt von Teamchef Ottmar Hitzfeld eingestellt, hielt das Schweizer Abwehrbollwerk dem Power-Play der Spanier stand, wie vernagelt war das Tor von Diego Benaglio.

Spanisches Spiel auf ein Tor

Schon in den ersten Minuten zeigte die "Selección", wer der Chef am Platz ist. Xavi und Iniesta übernahmen das Kommando und zogen langsam ihr "Tiqui-Taca" – das berühmt-berüchtigte Kurzpassspiel auf. Einzig den tödlichen Pass ließen die Spanier vermissen. Das lag aber auch daran, dass sich die Schweizer wohl Nordkorea als Vorbild nahmen. Das 4-4-2-System auf dem Papier erwies sich in der Praxis als 5-4-1-"Alpenfestung". "Laufen und hinten dicht machen", lautete die Devise, die Ottmar Hitzfeld seinen Mannen mit auf den Weg gegeben hatte.

Zwei Mal kamen die Spanier vor der Pause gefährlich vor das Tor der Schweizer: In der 24. Minute hat Iniesta das Auge für Pique. Der Barca-Verteidger lässt Grichting im Strafraum elegant aussteigen, aber Wolfsburg-Goalie Benaglio kann sich auszeichnen - nicht das einzige Mal an diesem Tag. Kurz vor der Pause lupft Villa - von Vicente Del Bosque als Solo-Spitze aufgeboten - die Kugel über Goalie Benaglio - ins Torout. Sein Gegenüber, Iker Casillas, hatte da schon eher einen ruhigen Tag. Ein Freistoß von Reto Ziegler war das einzige, das Spaniens Goalie in Hälfte eins zu entschärfen hatte.

Kurios, und bitter zugleich für die Schweizer, die mit Frei und Behrami auf zwei Stützen im Team verzichten mussten: In der Hitze des Gefechts verletzte sich England-Legionär Senderos in der 36. Minute bei einem Tackling gegen einen eigenen Mann.

Knapp 490 Minuten ohne Gegentor

Nach der Pause ging's in der Tonart weiter. Der amtierende Europameister drückte, probierte es hoch, probierte es flach - aber immer wieder brachte ein Schweizer in letzter Sekunde Kopf oder Fuß dazwischen. Bei den Eidgenossen ging in der Offensive gar nichts. Bis auf das eine Mal, in der 52. Minute: Benaglio schießt aus, Gelson Fernandes kommt nach einem Gerangel im Strafraum an den Ball und drückt die Kugel über die Linie - 1:0 für die Schweiz. Ein Ergebnis, mit dem wohl selbst die optimistischten Schweizer Fans nicht gerechnet hätten.

Beeindrucken konnte das die spanischen Offensivkünstler aber nicht so richtig. Die Del-Bosque-Elf zündete noch einmal den Turbo, Chancen im Minutentakt waren die Folge. Für die Eidgenossen begannen bange Minuten des Zitterns: In der 63. Minute schlenzt Iniesta den Ball knapp am rechten Eck vorbei. Fünf Minuten später knallt der eingewechselte Torres, der neuen Schwung ins Spiel der "Selección" brachte, den Ball am Tor vorbei. In Minute 70 rettet nach Alonso-Knaller die Latte. Auf der Gegenseite hatte Derdiyok das 2:0 am Fuß, traf aber nur die Stange. Was den Spaniern am Ende fehlte: Das Glück - und die (Schweizer) Präzision. Auch die südafrikanische Kälte kann diesmal nicht als Ausrede herhalten: Angenehme 20 Grad in Durban.

Der 1:0-Sieg der Schweiz ist die erste große Überraschung nach 16 Vorrundenspielen. Schwacher Trost für den Europameister: Die Spanier sind nicht die einzigen, die sich an der Schweizer Defensive in jüngster WM-Vergangenheit die Zähne ausgebissen haben. Rund 490 Minuten sind es nämlich schon, die die Eidgenossen bei einer WM ohne Gegentor sind. 2006 kam erst im Elfmeterschießen gegen die Ukraine das Aus. Das bisher letzte WM-Tor kassierte die Alpenrepublik bei der WM 1994 in den USA. Gegner damals war ein alter Bekannter: Spanien.