Es wäre die kurioseste Premiere dieser WM: zwei Brüder, die für verschiedene Nationen gegeneinander spielen. Ob es bei Deutschland - Ghana in einer Woche zum Duell zwischen den in Berlin aufgewachsenen Halbbrüdern Jérôme und Kevin-Prince Boateng kommt, ist ungewiss. Fest steht, dass diese WM das Turnier der Migrationskinder ist. In nahezu jeder Mannschaft stehen Spieler, die als Doppelstaatsbürger oder Angehörige der zweiten Einwanderergeneration auch für ein anderes Land hätten spielen können.

Gar nicht wenige haben das auch schon getan: So war Neven Subotic bis zur U20 für die USA im Einsatz, ehe er sich doch für das serbische A-Team entschied. Sogar eine dritte Alternative wäre möglich gewesen, denn er besitzt auch den Pass Bosnien-Herzegowinas. Der in Brest (Frankreich) geborene Stürmer Gonzalo Higuain hingegen sagte 2006 Nein, als ihn Teamchef Raymond Domenech in die Equipe Tricolore einberufen wollte - für ihn kam nur Argentinien infrage, dort spielt der Real-Torjäger jetzt auch. Im Gegensatz zu seinem Teamkollegen Karim Benzema. Er ist Sohn algerischer Eltern, ein Großteil der Mitglieder des algerischen Kaders ist wie er in Frankreich geboren. Benzema entschied sich für Frankreich, für Südafrika wurde der Real-Stürmer nicht nominiert.

Selbst ein Bruderduell wie nun Boateng vs. Boateng wäre schon 2006 in Deutschland möglich gewesen. Der bei Feyenoord Rotterdam tätige Salomon Kalou sollte vor der WM noch rasch Holländer werden und wäre in der Vorrunde im Spiel gegen die Elfenbeinküste auf seinen älteren Bruder Bonaventure getroffen. Die Politik verweigerte aber den Pass. Mit vierjähriger Verspätung kommt Salomon in Südafrika zu seinem WM-Debüt - nun doch im Dress der Elfenbeinküste.

Kampf um die Zusage

Der Kampf um mögliche Nationalspieler wird inzwischen ähnlich intensiv geführt wie jener der Klubs um die begabten Fußballer. Kaum erwachsen, stehen viele Jungprofis vor der schwerwiegenden Entscheidung: Für welches Land wollen sie international spielen? Mehr oder weniger massiver Druck von Vertretern der Verbände wird ausgeübt, auch Geld soll manchmal die Entscheidungsfindung beschleunigen. Andere Geheimwaffen setzt der türkische Fußballverband ein: In Köln betreibt er unter der Leitung des Exprofis Erdal Keser ein Europabüro, das sich auf ein Netz von Scouts, Jugendtrainern und Beobachtern stützt. So gelang es, die im Ruhrpott aufgewachsenen Altintop-Zwillingsbrüder ins türkische Team zu lotsen. Keser: "Wir haben an die Familien, an den Stolz ihrer Eltern appelliert."

Beim Österreichischen Fußballbund (ÖFB) ist man froh, dass sich die Immigrantenkinder mehrheitlich für Rot-Weiß-Rot entschieden haben, sagt Pressesprecher Peter Klinglmüller: "Ob Korkmaz, Kavlak, Dag oder Garics - für sie alle gab es keine Diskussion, dass sie für Österreich spielen wollen." Bayern-Talent David Alaba war dem ÖFB sogar so wichtig, dass die schärfste Waffe zur Absicherung gezogen wurde: Seit dem Einsatz im A-Team in der WM-Qualifikation gegen Frankreich 2009 darf der Sohn nigerianisch-philippinischer Eltern für kein anderes Nationalteam spielen. Ein taktischer Schachzug, denn die Regeln zum Nationenwechsel sind inzwischen umfangreich: Staatsbürgerschaft, das Alter sowie die Frage, ob Freundschafts- oder Pflichtspiele bestritten wurden, spielen dabei eine Rolle.

Der Vorwurf des "Vaterlandsverrats" steht schnell im Raum, wenn Talente jahrelang in Nachwuchsteams herangezüchtet werden und dann doch wechseln. Die Schweizer mussten mit Ivan Rakitic, Mladen Petric (beide Kroatien) und Zdravko Kuzmanovic (Serbien) mehrere aussichtsreiche Doppelstaatsbürger abgeben. Rakitic und Kuzmanovic trugen noch im Nachwuchs das Schweizerkreuz auf der Brust und betonten, niemals für ein anderes Land spielen zu wollen . . .

Das Rezept bei den "Secondos", wie die zweite Einwanderergeneration bei den Eidgenossen heißt, um ein Abwandern zu verhindern, lautet deshalb: Bei den Familien ansetzen. Denn es gilt, die aktuellen U-17-Weltmeister zu halten, die Rodriguez, Seferovic, Gonçalves oder Ben Khalifa heißen. Die "Blick"-Zeitung fragte gar: "Schießen die U-17-Helden bald Tore gegen uns?"