Die ersten Fans der argentinischen Nationalmannschaft sind schon vor Tagen in Rio de Janeiro gelandet. Sie haben die Copacabana in Beschlag genommen, in Vorfreude auf den ersten Auftritt ihres Teams heute im Maracana. "Ar-gen-tina, Argentina", hallt es rund um das riesige Oval. Im Mittelpunkt steht wie immer der Kleinste, den sie stolz "La Pulga" nennen. Er soll Argentinien zum Titel führen, wie Diego Maradona 1986: Lionel Messi.

Es gibt keine Miene, die nicht interpretiert wird, jeder seiner Schritte wird verfolgt. Und wenn er sich auf dem Rasen übergeben muss, gleicht das beinahe schon einer nationalen Katastrophe.

Lionel Messi war viermal "Weltfußballer des Jahres", auf seinen Schultern lastet der Druck, obwohl das argentinische Nationalteam genügend andere Superstars in seinen Reihen hat. Er soll zum "Antlitz dieser WM" werden, soll Neymar und Co. in den Schatten stellen. Von Druck zu reden, ist wohl eine maßlose Fehleinschätzung, es ist eine zigfache Steigerung dessen. Und die Latte liegt so hoch, dass sie kaum überwindbar scheint. Will Messi mit dem Allergrößten mithalten, wird er diesen WM-Titel gewinnen müssen. Sonst wird er immer im Schatten von Maradona, Kapitän und Superstar 1986 in Mexiko, bleiben.

Die Erwartungen hat der Ausnahmekönner einst selbst geweckt, aber bei Weltmeisterschaften hat das alles noch nicht so richtig funktioniert. Das bisher einzige WM-Tor Messis liegt acht Jahre zurück. 2006 in Deutschland sorgte er für den 6:0-Endstand in Gelsenkirchen gegen Serbien. Andererseits war nie ein Argentinier, der je bei einer WM zu einem Torerfolg kam, jünger (18 Jahre, elf Monate) als er.

Kein Alleingang

Vor vier Jahren in Südafrika ging er leer aus - ausgerechnet Messi, der als kleiner Bub in seiner Heimat Rosario regelmäßig 100 Treffer in einer Saison erzielte und beim FC Barcelona zum Torschützen vom Dienst reifte. Klappt es in Brasilien nicht, dann bleibt vielleicht noch die WM 2018. Da wird Messi 31 sein.

Einer, der die Erwartungslast kennt, warnte aber davor, alles von dem 1,69 Meter kleinen Genie abhängig zu machen. "Gut, er ist der beste Spieler der Welt. Er kann in einem Spiel eine schwierige Situation klären. Dass er aber im Alleingang eine Weltmeisterschaft gewinnt, ist unmöglich", sagt der argentinische Held des ersten WM-Triumphes 1978, Mario Kempes, der später sogar als Legionär in Österreich bei Vienna und St. Pölten zu bewundern war. Messi werde sich unter Druck gesetzt fühlen, "denn einige glauben, dass alles damit getan ist, ihm den Ball zu geben. Und das ist ein großer Irrtum!"

Messi allein kann es nicht richten, er braucht geeignete, mutige Mitspieler, wie Sergio Agüero oder Reals Champions-League-Sieger Angel di Maria. Zudem muss sich die Abwehr dem Weltklasse-Niveau der Offensive zumindest annähern. Schon vor acht Jahren herrschte da kein Gleichgewicht. Und 2010, als sich Messi in Südafrika in fünf Spielen vergeblich um sein zweites WM-Tor bemühte, war das nicht anders. Zumal der damalige Trainer Diego Maradona nicht als taktischer Stratege in die Fußballgeschichte eingeht.

Schonung für WM?

Eine richtig gute Saison hat Messi beim FC Barcelona nicht hinter sich gebracht. Die Steueraffäre dürfte an ihm genagt haben. Aber es wurde auch offen darüber diskutiert, ob er sich nicht schon frühzeitig für Brasilien geschont hat und seine Gedanken stets bei der WM waren.

Die Stimmung im argentinischen Team darf man durchaus als angespannt bezeichnen. Auch, weil das Verhältnis einiger Stars zum Teamchef (Saballa) nicht gut sein soll. Falls Messi für das Fortkommen nicht reicht, erhofft man sich Hilfe von ganz oben. Und der Papst, der ist bekanntlich Argentinier. Ein riesiges Plakat, das das Team mit Franziskus zeigt, schleppen sie in Brasilien immer mit.