Ein Nachmittag im Zentrum von Rio. In einer Seitengasse der sechsspurigen Avenida Rio Branco haben Händler ihre Stände aufgebaut. Neben billigen Sonnenbrillen und Handtaschen verkaufen sie Dressen der brasilianischen Nationalmannschaft. 50 Reais, knappe 20 Euro, kostet das angeblich echte Nike-Leiberl, der Verkauf läuft zäh. Kaum ein Passant bleibt stehen, in zehn Minuten geht gerade mal ein Shirt über den improvisierten Ladentisch.

WM-Euphorie schaut anders aus. Viele Brasilianer haben keine Lust auf die teure WM, laut Umfragen steht die Mehrheit der 200 Millionen Einwohner dem Großereignis ablehnend gegenüber. "Es ist zu einer Trennung gekommen zwischen dem sportlichen Event und der WM-Organisation", sagt Martin Curi. Der deutsche Anthropologe lebt seit über zehn Jahren in Rio und hat das Buch "Brasilien - Land des Fußballs" geschrieben. "Natürlich freuen sich die Leute auf die Spiele, aber es gilt als unkorrekt, sich positiv über die WM zu äußern. Man riskiert, angefeindet zu werden", sagt Curi.

In Santa Teresa, einem alten Portugiesenviertel auf den Hügeln der Millionenmetropole, zeigt sich ein etwas anderes Bild. Die Hauptstraße ist mit Girlanden behängt, gegenüber eines beliebten Restaurants vollendet ein Straßenkünstler gerade sein Wandgemälde. Es zeigt die Nationalmannschaft in der alten Straßenbahn, die früher durch Santa Teresa getuckert ist, bis sie nach einem Unfall 2011 eingestellt wurde. Auf dem Bild sitzt Teamchef Scolari neben dem tödlich verunglückten Chauffeur in der Tram, die von Flügelstürmer Hulk gezogen wird. Daneben steht ein Fan mit dem Schild: "Wir wollen unsere Straßenbahn zurück!" Eine Anrainerforderung, die erhört werden könnte. Denn kurz vor der WM wurde in Santa Teresa mit der Sanierung der Gleise begonnen. Zu den Olympischen Spielen 2016 könnte die Straßenbahn wieder Touristen durch das idyllische Viertel transportieren.

Ein paar verwinkelte Gassen tiefer, im Stadtteil Gloria, hat die Rua Benjamin Constant ein dichtes gelb-grünes Dach aus Fähnchen und Ballons bekommen. Die Stiege, die den steilen Hügel hinaufgeht, trägt ebenso Landesfarben, und an der Ecke, wo auf der Straße Autos gewaschen werden, entsteht eine weitere Wandmalerei. Auch William, der hier den Pinsel schwingt, malt die Spieler der Selecao. "Ich verstehe ja die politischen Leute, dass sie die WM kritisieren, aber irgendwann sollte Schluss sein", sagt er. "Ich bin Fußballfan und ich freue mich auf die WM." Womit er nicht allein sein dürfte. So kurz vor dem Ankick wird nun doch auch Vorfreude nicht nur hier, sondern an vielen Orten Rios sichtbar. "Es sieht so aus, als ob die Anti-WM-Stimmung bröckelt", sagt Martin Curi.

Die Strecke von Rio nach Sao Paulo ist eigentlich überschaubar, aber der Bus braucht fast sieben Stunden für die 400 Kilometer. Zum Glück für die Neuankömmlinge wurde der tagelange Streik, der den öffentlichen Verkehr lahmgelegt hatte, ausgesetzt. Aber er könnte, so heißt es, morgen wieder aufgenommen werden. Dann nämlich wird in Sao Paulo das Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien angepfiffen.