Sehen Sie der WM in Brasilien auch mit gemischten Gefühlen entgegen, weil es große Probleme und soziale Unruhen gibt und die Menschen protestieren?

OLIVER KAHN: Dass die FIFA diesen Ländern vorgibt, für hohe Summen neue Stadien zu bauen, für ein Event, das vier Wochen dauert - darüber muss man sich Gedanken machen. Und ich finde es gut, dass die Menschen auf ihre Probleme aufmerksam machen und die Aufmerksamkeit, die eine Fußball-WM generiert, dafür nutzen. Natürlich muss das friedlich passieren.

Die FIFA, beziehungsweise Präsident Joseph Blatter, verkauft den Fußball aber als Messias, der die Welt fast von allem Unheil befreien könnte. Und viele politische Machthaber scheinen daran zu glauben. . .

KAHN: Man könnte Herrn Blatter vielleicht einmal fragen, was die Südafrikaner jetzt in ihren WM-Stadien machen sollen. Ich finde, das ist ein antiquierter Glaube, dass der Fußball so viel bewegen kann. Natürlich bringt der Fußball Menschen zusammen, natürlich hat der Fußball 2006 vielleicht ein neues, anderes Deutschland-Bild gezeichnet. Aber dass der Fußball echte Probleme in einem Land lösen könnte, das finde ich doch sehr weit hergeholt. Wir hatten ja erst eine Europameisterschaft. . . (Anm.: Kahn spielt auf die EM in Polen und in der Ukraine an).

Wir hatten auch im Februar Olympische Winterspiele in Russland. . .

KAHN: Ich will jetzt nicht Sport und Politik miteinander vermischen. Der Sportler selber freut sich sein Leben lang auf Olympische Spiele, ich hab mich mein ganzes Leben darauf gefreut, einmal bei einer Weltmeisterschaft dabei zu sein. Aber was diese Aufladung als globaler Problemlöser betrifft, da wird dem Sport viel zu viel zugemutet.

Ich bitte um eine WM-Prognose: Spielen die üblichen Verdächtigen um den Titel, oder wird es eine Überraschung geben?

KAHN: Die gibt's immer. Vielleicht die Mexikaner? Oder die anderen Südamerikaner, auf die muss man wirklich aufpassen. Die bereiten sich richtig intensiv vor. Die Weltmeisterschaft ist auf ihrem Kontinent. Ich bin auch gespannt darauf, wie die Brasilianer dem Druck standhalten werden, denn der ist im eigenen Land besonders groß.

Und die Deutschen?

KAHN: Da muss man abwarten, wie man mit den vielen Herausforderungen und Verletzten zurechtkommt. Vieles stellt sich ganz anders dar, als noch vor einem Jahr, als die Deutschen mit einem tollen Fußball durch die Qualifikation gerauscht sind.

Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu den Österreichern? Mit einem Doping-Kontrolleur aus Linz hatten Sie einmal eine gröbere Auseinandersetzung, den Andreas Herzog haben Sie einmal ja relativ heftig "umarmt" . . .

KAHN: Das ist längst vorbei, wir haben das alles ausdiskutiert. Ich denke gerne an Österreich, da habe ich immerhin meinen letzten Titel geholt.

Sie meinen den akademischen Abschuss auf dem Privat-College in Seekirchen?

KAHN: Genau, das war eine sehr schöne Zeit. Und die Gegend bei Salzburg ist wirklich wunderschön.

Apropos Salzburg. Was halten Sie vom Red-Bull-Fußball-Projekt?

KAHN: Ich finde es vorbildhaft. Das sieht man auch bei RB Leipzig. Der Verein wird bald in der Bundesliga sein. Für mich sind das zukunftsfähige Modelle, die natürlich auch kritisch gesehen werden. Aber dort wird sehr professionell gearbeitet, es gibt eine gute Strategie. Herr Mateschitz ist ein Unternehmer, der einen Profi-Fußballklub nicht mehr als Verein begreift, was auch nicht mehr zeitgemäß wäre, sondern als Unternehmen. Wer da nicht mithält und sich immer nur auf seine Tradition beruft, kann echte Probleme bekommen.

Würde es Sie reizen, bei so einem Fußball-Unternehmen eine führende Funktion zu übernehmen?

KAHN: Wenn die Strukturen professionell sind, dann ist das sicher sehr reizvoll. Aber eigentlich will ich das nicht mehr, jeden Samstag in einem Stadion sitzen und mitfiebern müssen. Dann hast du wieder gute Laune, wenn du gewonnen hast, und miese Laune, wenn du verloren hast . . .