Noch nie wurde eine europäische Mannschaft Weltmeister in Südamerika. Wird es diesmal wieder die WM der Südamerikaner?

FRANZ BECKENBAUER: Na ja, so viele Weltmeisterschaften waren ja noch nicht in Südamerika, aber das kann trotzdem gut sein. Die Teams aus Südamerika werden allesamt perfekt vorbereitet in das Turnier gehen, das ist nicht nur die WM der Brasilianer, das ist die WM Südamerikas. Das wird keine leichte Sache für die Europäer. Am schwierigsten ist es dennoch natürlich für Brasilien. In dem Land gilt es als ausgeschlossen, dass jemand anderer Weltmeister wird. Brasilien hat eine junge und talentierte Mannschaft, aber die Frage wird sein, ob sie den Druck erträgt.

Das Gegenteil ist Spanien: eine sehr routinierte Mannschaft, die lange dominiert hat. Aber: Ist die Zeit der Spanier vorbei?

BECKENBAUER: Ich würde Spanien nicht so schnell abschreiben wie viele andere Experten. Ich würde jetzt nicht sagen, dass Spaniens Team zu alt ist, ich würde sagen, sie sind sehr routiniert. Und wenn ich mir die Resultate der spanischen Mannschaften in Champions League und Europa League ansehe, dann spricht das ohnedies eine eigene Sprache. Die würde ich niemals abschreiben.

Stellt sich die Frage: Wer ist dann der große Favorit?

BECKENBAUER: Sicher die Teams aus Südamerika, sicher Spanien, vielleicht Italien, dahinter Deutschland. England habe ich nicht so auf der Liste.

Da fällt auf: In der Aufzählung fehlt ein afrikanisches Land. Die letzten 20 Jahre galten die Afrikaner als die Zukunftshoffnung des Fußballs, ganz nach oben hat es niemand geschafft. Warum?

BECKENBAUER: Das ist eine gute Frage, die ich mir selbst auch nicht erklären kann. Rein von den Kaderlisten her müssten die allesamt eine viel wichtigere Rolle spielen. Aber dort fehlt meiner Meinung nach die Struktur. Das ist schade, denn in ihren europäischen Teams spielen die Afrikaner eine tragende Rolle, ordnen sich auch in das System ein. Im Nationalteam funktioniert das offenbar nicht so gut.

In Brasilien gab es zuletzt große soziale Unruhen. Werden diese wie ein dunkler Schatten auf der WM liegen?

BECKENBAUER: Eine bessere Bühne als eine Fußball-WM gibt es für Menschen, die gegen etwas protestieren, nicht. Das verstehe ich und kann es auch nachvollziehen. Mit Fußball in Brasilien verbindet man Spaß, Lebensfreude, Fußball in Perfektion. Es wäre schön, wenn dies bei der WM trotz aller Probleme im Vordergrund stehen würde.

Ein Blick in die Zukunft: Die WM 2022 in Katar ist heiß umstritten, Ihre Meinung dazu?

BECKENBAUER: Ich war schon während der Bewerbung überrascht, welch hohen Zuspruch Katar bekommen hat. Bei der Wahl wären sie beinahe schon im ersten Durchgang als Sieger hervorgegangen, das wäre überhaupt eine Katastrophe gewesen. Was für Katar spricht, ist die soziale Ausrichtung, die meisten Stadien werden abgebaut und in Entwicklungsländern wieder aufgebaut. Aber der Zeitpunkt der WM ist ein weiteres Problem. Im Sommer kann man die WM unmöglich spielen, die Idee, die Stadien herunterzukühlen, ist absurd. Soll man dann das ganze Land herunterkühlen? Nein, das geht nur im Winter. Aber wann? Die Amerikaner haben da den Superbowl, Olympische Winterspiele stehen auch an, das ist nicht so einfach. Dennoch: Wenn alle wollen, wird man einen Termin im Winter finden und die Meisterschaften so ausrichten.

Warum sind Sie nicht längst schon FIFA-Präsident?

BECKENBAUER: Da muss ich zurückblicken: Ich war OK-Chef der WM 2006 in Deutschland und im Rahmen dieser Tätigkeit haben mich viele bedrängt, doch diesen Job zu übernehmen. Ich muss ehrlich sagen, ich habe auch viele Lücken in der FIFA entdeckt, die zu verbessern wären, und habe kurzfristig sogar ernsthaft daran gedacht. Dann bin ich eines Abends zu meiner Familie nach Hause gekommen und habe mir gedacht: Nein, ich will noch eine Familie haben und nicht andauernd unterwegs sein. Daraufhin habe ich alle Ämter zurückgelegt, sogar meinen Sitz im Exekutivkomitee. Das ist die Weltregierung des Fußballs, alle wollen da hinein, und ich bin hinausgegangen. Da haben mich einige gefragt: Franz, bist jetzt verrückt geworden? Aber mir ist die Familie lieber.

Wo verfolgen Sie die WM?

BECKENBAUER: Zunächst bei mir daheim in Salzburg, da kann ich am Vormittag noch eine Runde über den Gaisberg drehen und dann Fußball schauen. In der letzten Woche bei den Halbfinali und dem Finale bin ich in Brasilien, das habe ich FIFA-Präsident Blatter versprochen.