WIEN. "Schweigen führt zu keiner Veränderung, deshalb bin ich überzeugt davon, dass der außergewöhnliche Schritt von Thomas Hitzlsperger zur Aufklärung beiträgt und eine Bewusstseinsänderung in Gang setzen wird", zeigt sich Otmar Weiß zuversichtlich. Der Sportsoziologe weiß nicht nur aus beruflicher Sicht, wovon er spricht. Er kickte lange Jahre bei Schwarze 11 St. Pölten, ist derzeit Spielertrainer beim FC Universität Wien und regelmäßig bei Austria Wien im Stadion.

Weshalb sich Sportler ein Outing lieber verkneifen, liegt für Weiß daran, dass gerade beim Sportpublikum "das Werte- und Normenschema der Gesellschaft mitsamt ihren Vorurteilen widergespiegelt wird. Und insbesondere beim Fußball wird Homosexualität häufig mit Unmännlichkeit, Schwäche und fehlendem Durchsetzungsvermögen assoziiert", sagt Weiß.

Die ausgeprägte Homophobie in Österreichs Fankurven geht dem Niederösterreicher zufolge auf die Kosten nicht ausreichender Bildung: "Das ist zwar eine Hypothese, aber nur wenn ich Integration und Aufgeschlossenheit vorantreibe und das Bildungsniveau hebe, kann ich erwarten, mündige Fans zu haben, die mit allen Sportlern respektvoll umgehen", sagt Weiß.

Dass dem Beispiel Hitzlsperger aktive Sportler folgen, kann er sich durchaus vorstellen. Einem aktiven Fußballer dazu raten würde der Soziologe frühestens nach einem ausführlichen Gespräch: "Aber selbst wenn er psychisch stabil ist, kann es für jemanden in der Mitte seiner Karriere mehr Nachteile als Vorteile bringen."

Eine größere Offenheit vonseiten der Zuseher gegenüber homosexuellen Frauen, etwa im Fußball, Skispringen oder Tennis, ortet Weiß nicht: "Besagte Fangruppen nehmen Frauenfußball genauso wenig wahr wie die sexuelle Orientierung mancher Spielerin. Und im Damentennis spielt die Erotik eine wichtigere Rolle als die Sportlerin an sich."