Über Altamira bricht die Abenddämmerung herein. Vom Arbeitszimmer aus blickt man auf den schlammbraunen Xingu, der sich in großen Windungen durch den Regelwald schlängelt. Öffnet man die Türe zum kleinen Balkon, schlägt einem die subtropische Schwüle des Amazonas entgegen.

Doch die Idylle ist trügerisch. Eine Einladung zu einem Drink in einem Lokal um die Ecke durch die grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek schlägt Bischof Erwin Kräutler aus. Seit der Ermordung seiner engsten Mitarbeiterin 2005 wird er rund um die Uhr von bulligen Bodyguards bewacht. Auch auf ihn wurde bereits ein Mordanschlag verübt. "Der Polizeichef hat mir erst kürzlich dringend davon abgeraten, auf den Personenschutz zu verzichten. Ich wäre dann Freiwild", so Kräutler zur Kleinen Zeitung.

Vor 48 Jahren ist der gebürtige Vorarlberger nach Brasilien gegangen. Als Bischof einer Diözese, die fast so groß ist wie Deutschland, hat sich Dom Erwin, wie er in Brasilien genannt wird, mit den Mächtigen angelegt, die, wie er sagt, "den Amazonas auf Kosten der dort lebenden indigenen Völker ausbeuten" wollen: die internationalen Bergbau-Konzerne, die Großgrundbesitzer, seit neuesten jenes Konsortium, das unweit von Altamira den gigantischen Belo Monte-Staudamm errichtet (wir werden noch darüber berichten). Am Amazonas genießt Kräutler Kultstatus. Für die Regierung im fernen Brasila ist er oft der wichtigste Ansprechpartner. Für sein Eintreten wurde Kräutler mit dem alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Wie der Papst

Mit seinen 74 Jahren wirkt Kräutler noch unglaublich rüstig. Nur die Wirbelsäule schmerzt. "Die habe ich mir bei meinen Fahrten zu den entlegenen Pfarren in meiner Diözese ruiniert." Ohne Jeep sind die rotbraunen Buckelpisten im Urwald kaum zu bewältigen. Am Weltjugendtag in Rio nahm Kräutler nicht teil, eine lange geplante Einkehrwoche mit den Priestern, Ordensleuten und Laien seiner Diözese hatte Vorrang. "Als Bischof durfte ich da nicht fehlen."

Dass ihm die Arbeit in der Gemeinde wichtiger ist als ein Papstevent, erinnert unweigerlich an Papst Franziskus. Kräutler lebt äußerst bescheiden, verzichtet auf die Insignien bischöflicher Macht. Wer sich auf die Suche nach einem kleinen barocken bischöflichen Palais wie sonst wo in Brasilien begibt, sucht vergeblich. Kräutler hat ein unscheinbares Haus im Herzen von Altamira zum Bischofssitz der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens umfunktioniert. Mit seinem radikalen Eintreten für die Ärmsten der Armen, seinem pastoralen Engagement, aber auch von seiner monastischen Lebensweise her könnte Kräutler der Zwillingsbruder des Papstes sein.

Im Gespräch lässt Kräutler in einem Punkt aufhorchen: Brasilien sollte die Fußball-WM im nächsten Jahr abblasen. "Das ganze Projekt ist ein Wahnsinn. Wir brauchen keine Weltmeisterschaft. Wir haben heute noch Schulen, wo die Kinder auf dem Boden liegen wie keine Krokodile. Da pumpt man Unsummen in die Stadien und die Spiele. Da wären andere Dinge viel wichtiger."

Kräutler vor Rücktritt

Kräutler wird im nächsten Jahr 75, muss also dann den Rücktritt beim Papst einreichen. Ob er vom Vatikan dann noch ein, zwei Jahre verlängert wird, ist offen. In jedem Fall werde er sich in der "Pension" wieder öfters in Österreich blicken lassen.