Bargeld im Aktenkoffer, eine Briefkastenfirma in Mittelamerika und ein Präsident als Pate: Diese Bausteine fügt die ukrainische Opposition derzeit zu einem Mosaik zusammen. Es zeigt das Bild einer Fußball-Europameisterschaft, die nur durch Korruption in großem Stil möglich geworden ist. Nun schaltet sich das EU-Parlament ein. "Wir müssen das dringend aufklären", fordert die Grünenabgeordnete Rebecca Harms.

UEFA in der Pflicht

Die Straßburger Fraktionsvorsitzende sieht vor allem die UEFA in der Pflicht. "In einem bitterarmen Land wie der Ukraine sind riesige Summen Geldes in die EM-Organisation geflossen. Der europäische Fußballverband muss Rede und Antwort stehen, ob dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist", sagt die Grüne, die in der vergangenen Woche in Charkiw die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko besucht und sich vor Ort informiert hatte. "Ich erstelle derzeit einen Fragenkatalog an die UEFA. Die Sportfunktionäre dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen."

Die Geschichte, auf die Harms anspielt, liest sich wie ein Kriminalroman - und könnte doch wahr sein. Die UEFA hatte der Ukraine nach der Turniervergabe 2007 wiederholt mit dem Entzug der EM gedroht. Anfang 2010 bahnte sich beim Bau von Stadien, Flughäfen, Straßen und Schienen ein Desaster an. Nichts war fertig, wenig begonnen. Die Regierung der damaligen Ministerpräsidentin Timoschenko hatte versagt. Dann gewann Viktor Janukowitsch die Präsidentenwahl und machte Boris Kolesnikow zum Minister für Infrastruktur. Der forsche 49-Jährige wurde zum Retter der EM.

Innerhalb kürzester Zeit gelang es Kolesnikow unter anderem, den kompletten Neubau der Arena in Lemberg und die Sanierung des Olympiastadions in Kiew anzuschieben. In allen Spielorten wuchsen gläserne Airport-Terminals in den Himmel. Die Ukraine kaufte sogar ein Dutzend koreanischer Hochgeschwindigkeitszüge. Rund zehn Milliarden Euro investierte der Staat, der seit drei Jahren am Rande des Bankrotts taumelt. "Viel zu viel", sagt der Lemberger Abgeordnete Ostap Semerak. "Mehr als drei Milliarden sind irgendwo versickert."

Eine korrupte Euro

Semerak gehört der Partei von Timoschenko an, der Erzrivalin von Präsident Janukowitsch. Unter Berufung auf den Parlamentarier, aber auch auf andere Quellen, zeichnen regierungskritische Medien wie die englischsprachige "Kiew Post" die Geschichte einer Europameisterschaft nach, die manche Beobachter für die korrupteste EM aller Zeiten halten. In den Katakomben der Stadien frohlockt demnach die Mafia.

"Das Verfahren ist sehr simpel", sagt Semerak. "Der staatliche Auftraggeber und der private Auftragnehmer vereinbaren einen völlig überhöhten Preis. Anschließend fließt ein Teil des Geldes bar im Aktenkoffer zurück an die Offiziellen." Gemeint sind damit Kolesnikow und seine Beamten. Dass dabei im Stile der Mafia Hintermänner im Spiel sind, setzen die Regierungskritiker voraus. Eine Art Pate sei Präsident Janukowitsch persönlich. Ein Sprecher des Ministers weist all dies als "Science Fiction" zurück.

Fest steht allerdings, dass Kolesnikow sich nach seinem Amtsantritt per Gesetz dazu ermächtigen ließ, EM-Aufträge ohne transparente Ausschreibung nach eigenem Ermessen zu vergeben. Den Zuschlag bekamen Firmen, die laut "Ukrainska Prawda" und "Kiew Post" eng mit Janukowitsch, Kolesnikow und dem Donezker Klan verbunden sind. Dabei handelt es sich um einen informellen Zirkel aus Politikern und milliardenschweren Wirtschaftsbossen aus der Ostukraine.

Scheinfirma in Belize

Recherchen des britischen "Guardian" zufolge hat etwa die Donezker Investmentgruppe Altkom mehr als eine halbe Milliarde Euro durch EM-Aufträge eingenommen. Wer Eigentümer des Unternehmens ist, sei unklar. Die Spur führt nach Birmingham und verliert sich bei einer Briefkastenfirma im mittelamerikanischen Belize. An der Spitze einer der Scheinfirmen habe zeitweise eine Yogalehrerin auf Zypern gestanden.

Rebecca Harms will niemanden vorverurteilen. Vor allem möchte sie nicht "die Ukraine als Land mit so vielen wunderbaren Menschen in den Ruf eines korruptionsverseuchten Staates bringen". Dennoch sieht sie Aufklärungsbedarf. Fakt ist: Die Ukraine ist auf dem Korruptionsindex von Transparency International in diesem Jahr um 18 Plätze auf Rang 152 abgerutscht. Das korrupteste Land Europas erhält eine ähnliche Bewertung wie die afrikanische Republik Kongo und das zentralasiatische Tadschikistan.