"Die Situation ist nicht vergleichbar mit 2010. Aber es ist wie mit einem alten Ehepaar - wenn du immer alles unter den Teppich kehrst, fliegt das Ganze irgendwann auseinander": Frankreichs Co-Trainer Alain Boghossian, wie sein Chef Laurent Blanc Weltmeister von 1998, nahm den heftigen Kabinen-Krach nach dem lustlosen EM-Auftritt gegen Schweden (0:2) eher gelassen. Alou Diarra und Samir Nasri hatten sich lautstark die Meinung gesagt, zudem bekundete Newcastle-Profi Hatem Ben Arfa seinen Unmut und bot sogar seine vorzeitige Heimreise an.

"Es wurden schwere Geschütze aufgefahren", verriet Chelsea-Kicker Florent Malouda, "in der Hitze des Gefechts hat das, was ich gesehen habe, alte Dämonen geweckt." Blanc zog prompt die Konsequenzen, neben Nasri mussten im Viertelfinale gegen Welt- und Europameister Spanien auch Diarra und Ben Arfa auf der Ersatzbank Platz nehmen.

Der interne Krach weckte ungute Erinnerungen an den vielleicht peinlichsten Auftritt, den je ein Team bei einem Fußball-Großereignis hingelegt hatte: "Enfant terrible" Nicolas Anelka hatte 2010 in Südafrika Teamchef Raymond "Ich stelle nach Sternzeichen auf" Domenech wüst beschimpft, die Spieler blieben daraufhin lieber im Bus sitzen als Trainingsübungen nachzugehen. Der Eklat im Süden Afrikas entwickelte sich zum großem Thema in der "Grande Nation", mit der Amtsübernahme von Blanc hatte man auf die Kehrtwende gehofft.

Die trat auch ein, die "Equipe Tricolore" reiste mit einem komfortablen Polster von 21 ungeschlagenen Partien in Folge in die Ukraine. Nach guten Auftritten des EM-Geheimfavoriten gegen England und die Ukraine durfte man in Frankreich schon von höheren Weihen träumen, doch der menschliche Reifungsprozess der Kicker hielt offenbar nicht Schritt mit dem sportlichen Höhenflug.

Fußballerische Bankrotterklärung

War die Darbietung gegen die Skandinavier schon nicht wirklich berauschend, so geriet das Viertelfinale gegen die Iberer endgültig zur fußballerischen Bankrotterklärung: Angesichts der großen Qualität im Kader war der Auftritt gegen die Spanier eher dürftig, von einem Freistoß von Yohan Cabaye abgesehen, den Iker Casillas noch aus dem Kreuzeck fischen konnte. Von den "Blauen" durfte man sich da angesichts der jüngeren Vergangenheit schon mehr erwarten.

Doch im direkten Vergleich mit dem desaströsen Auftritt vor zwei Jahren präsentierte sich die "Equipe Tricolore" zumindest sportlich respektabel, und es besteht durchaus Anlass zur Hoffnung, spätestens bei der Heim-EM 2016 für Furore sorgen zu können: International eher unbekannte Kicker wie Yohan Cabaye und Jeremy Menez wussten zu überzeugen, hinzu kommen mit Karim Benzema und Samir Nasri zwei Ausnahme-Fußballer, die jederzeit den Unterschied ausmachen können. Beide waren übrigens in Südafrika gar nicht mit von der Partie.

Das es ausgerechnet am 40. Geburtstag von Frankreichs Kicker-Ikone Zinedine Zidane nicht mit dem Aufstieg ins EM-Halbfinale geklappt hat, mag im übrigen eine kleine Ironie sein: "Zizou" ist bis heute das Gesicht jenes Nationalteams, das 1998 und 2000 den WM- bzw. EM-Titel erringen konnte – die großartigste Ballesterer-Ansammlung der jüngeren französischen Geschichte. Angeführt von "Zizou" und Didier "Le General" Deschamps geigten Barthez, Blanc, Desailly, Lizerazu, Thuram, Djorkaeff, Karembeu, Pires, Vieira, Henry, Trezeguet und Co. in sportlicher wie menschlicher Hinsicht auf. Der lange Schatten dieser Spielergeneration liegt auch heute noch über Frankreichs Auswahl. 2012 konnten Ribery, Nasri und Kollegen nicht vollständig überzeugen, bei der WM 2014 bietet sich dann die nächste Gelegenheit, den Sprung vom Geheim- zum Mitfavoriten zu bewältigen.