In den vergangenen Tagen lag eine elektrisierende Spannung in der Luft. Das mag in der NHL nichts Außergewöhnliches sein, wenn der Transferschluss naht. Nägelbeissend saßen die klubeigenen Photoshop-Profis bereits vor den Laptops, um ein wenig zu schwindeln, wenn die jüngsten Neuerwerbungen für die Social Media-Kanäle schnell ins Bild gerückt werden müssen. Und so wurde am Montagabend, kurz nach Transferschluss (21 Uhr MEZ), bereits ein Foto des Villachers Michael Raffl im knallroten Washington-Capitals-Trikot präsentiert.

Der Transfer des 32-Jährigen hatte sich bereits am Sonntag angekündigt. Raffl wurde kurz vor der Sonntags-Partie gegen Buffalo Sabres aus dem Kader genommen. Ohne Angaben von Gründen. Ein Indiz, dass mit einem oder mehreren Vereinen hinsichtlich eines Wechsels verhandelt wird. Zudem blickt der 532-fache NHL-Stürmer mit seinem bisherigen Team auf eine wankelmütige Saison zurück, einige bittere Niederlagen mussten die Philadelphia Flyers zuletzt verdauen (etwa ein 0:9 gegen die New York Rangers). Die Chancen standen schlecht, sich für die Play-offs zu qualifizieren.

Vielseitigkeit als großer Trumpf

Und weil Raffls Zwei-Jahres-Vertrag (dotiert mit 3,2 Millionen US-Dollar) im Sommer ohnehin ausgelaufen wäre, krallte sich der Stanley Cup Champion 2018 und diesjährige Titelanwärter Washington Capitals die Dienste des vielseitigen Stürmers. Um die Erfolgspläne zu konkretisieren, wurde überdies auch Top-Stürmer Anthony Mantha (Detroit Red Wings) geholt.

Das Team um Superstar Alexander Ovechkin erhofft sich mit Raffl, mehr Kadertiefe in der dritten und vierten Formation zu erhalten. Und weil der ÖEHV-Stürmer sowohl als linker/rechter Flügel und Center einsetzbar wäre, Schüsse blockt, krachende Checks verteilt, aber auch für Torgefahr sorgt, tütete Washington den Deal ein. "Er kann in jeder Linie spielen", reibt sich Capitals-Manager Brian MacLellan die Hände. Die Vertragsdetails: 25 Prozent der 1,6 Millionen US-Dollar (also 400.000,-) bezahlen noch die Flyers, die im Gegenzug einen Fünftrunden-Pick für den bevorstehenden NHL-Draft erhalten.

Raffl selbst wurde nicht gefragt, sondern, wie in solchen Fällen üblich, vor vollendete Tatsachen gestellt. Für Viele mag das ein Schock sein. Insbesondere, wenn das eine Trennung von der eigenen Familie bedeutet. In der NHL steht das im Kleingedruckten und gehört zum Geschäft. Raffls Privileg war es, bisher davon verschont geblieben zu sein.

Vielversprechende Perspektive

Aber: Rein sportlich gesehen könnte der Tapetenwechsel ins zweieinhalb Autostunden entfernte Washington vielversprechender nicht sein, Raffl erwartet eine richtige Startruppe. Die Capitals liegen in der Tabelle der MassMutual-East-Division in Front. Und sind auch personell top aufgestellt. Neben Ovechkin gehören dem "Stanley-Cup-Contender" geniale Spieler wie Nicklas Backström, TJ Oshie, John Carlsson oder Legende Zdeno Chara an. Dementsprechend dünn ist die Luft, bei komplettem Kader einen Fixplatz zu ergattern. Wann also Raffl, der die Rückennummer 17 gewählt hatte, erstmals im Capitals-Trikot einläuft, bleibt derzeit offen.

© NHL/Washington Capitals

In Washington kommt es jedenfalls zu einem Wiedersehen. Capitals-Trainer Peter Laviolette stand, als Raffl 2013 zu Philadelphia wechselte, bei den Flyers hinter der Bande. Zumindest in den Vorbereitungscamps konnte er sich vom Villacher ein Bild machen. Knapp nach Saisonstart wurde Laviolette, der Raffl zuvor ins Farmteam schickte, gefeuert. Erst danach feierte der Stürmer sein NHL-Debüt.

Erinnerungen an Mark Streit könnten wach werden. Der Schweizer wurde 2017 ebenfalls als Flyer zum damaligen Titelanwärter Pittsburgh Pengiuns transferiert. Prompt stemmte der Schweizer am Ende den Stanley Cup. Allerdings wurde er nur noch sporadisch eingesetzt.

Die Chance, Meister zu werden, sind für Michael Raffl mit Washington immens gestiegen. Und vielleicht so groß, wie überhaupt noch nie für einen Österreicher. Raffls Traum wäre, den Stanley Cup-Pokal irgendwann in seiner Heimatstadt Villach zu stemmen. In Wirklichkeit, ganz ohne Photoshop.