Österreichs U20-Nationalmannschaft hat es geschafft. Und die Protagonisten werden sich mit Sicherheit ein Leben lang an diesen Moment des Erfolgs erinnern. Das Team von Trainer Marco Pewal steigt in die Top-Division auf, spielt damit im Dezember 2020 als eine der besten zehn Nationen der Welt bei der WM in Kanada (Edmonton/Red Deer). Ein erlesener, renommierter Kreis: Heuer geben sich bei diesem Turnier die Eishockey-Großmächte Kanada, Russland, Schweden, Finnland, USA, Schweiz, Slowakei und Tschechien ein Stelldichein. Zusammen mit Kasachstan und Deutschland - eines dieser Teams wird 2020 aber nicht mehr dabei und abgestiegen sein.

Zurück zum Team Austria. Das wurde vor dem WM-Turnier der Division 1A in Minsk nicht einmal als Außenseiter auf den Aufstieg gehandelt, sondern als echter Abstiegskandidat. Schon der Klassenerhalt wäre als Erfolg gewertet worden. Und dann kam alles anders - sensationell anders. Der Erfolg ist historisch: Erst zum vierten Mal nach 1980/81, 2003/04 und 2009/10 (jeweils ohne Sieg wieder abgestiegen) wird das U20-Team Teil der Elite sein. Die Jahre der Teilnahme zeigen es: Die Pausen zwischen den Aufstiegen sind geringer geworden. Dem könnte man entnehmen, dass die grundsätzliche Entwicklung im österreichischen Eishockey in die richtige Richtung geht.

Es entspräche zumindest der österreichischen Mentalität, diesen Schluss zu ziehen und sich auf dem Erfolg auszuruhen. Aber klar ist auch: Mit den richtigen Reformen im heimischen Eishockey könnte der Zeitraum in der zweiten Klasse verringert bzw. die Haltbarkeit der Zugehörigkeit zur Elite erhöht werden.

Und doch gibt es Gründe für den Aufstieg der U20:

1. Außerordentliche Qualität

Bei derartigen Erfolgen wird schnell von einem "goldenen Jahrgang" gesprochen, wie auch einst mit Namen wie  Vanek, Koch, Setzinger, Welser etc. Die ÖEHV-Stars von morgen heißen also Benjamin Baumgartner, Thimo Nickl, Julian Payr, Senna Peeters, David Maier, Luis Lindner, Paul Huber - und vor allem Torhüter Alexander Schmidt. Speziell der benötigt aber Spielpraxis, um irgendwann wirklich eine rot-weiß-rote Nummer eins sein zu können. Auch von den in Minsk Abwesenden - Marco Rossi, Kilian Zündel oder Fabian Hochegger - darf man sich in Zukunft einiges erwarten.

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2. Taktische Ausrichtung

Teamchef Marco Pewal und seine Assistenten Philipp Pinter, Philipp Lukas sowie Goalie-Coach Jürgen Penker, haben ihre Mannschaft taktisch hervorragend eingestellt, die richtige Dosis erwischt. Modernes, temporeiches, aggressives, diszipliniertes - vor allem aber hochattraktives Eishockey wurde geboten. Der heimischen Liga würden solche erfrischenden Partien in einer lang(atmig)en Saison auch guttun.

3. Unösterreichische Mentalität

Der Einfluss von "Legionären" wie Baumgartner, Lindner, Maier, Nickl, Payr, Thaler, Schmid, Wallner, Peeters oder Pfeffer hat die ganze Mannschaft positiv beeinflusst. Jeder einzelne Akteur hat das Maximum an Energie für den gemeinschaftlichen Erfolg freigesetzt. Denn statistisch bewegte sich das Team Austria in puncto Effizienz, Powerplay, Penaltykilling oder Strafen nur im Mittelfeld. Doch gab es keine Scheu davor, jeden einzelnen Schuss blocken zu wollen, den letzten Schritt dafür auch noch zu tun.

4. Das Bader-System

Die Schweizer haben's nicht erfunden. Aber ein Eidgenosse mischt das verschlafene, verträumte System im Land, das künstliche Romantik erzeugen will, auf. Seit 2014 stellt Roger Bader Österreichs Eishockey buchstäblich auf den Kopf (einziger Schönheitsfehler in seiner makellosen Bilanz war der WM-Abstieg von Bratislava). Nichtsdestotrotz: Sein System, das er gebetsmühlenartig predigt, trägt Früchte. In allen Auswahl-Mannschaften wird temporeiches Eishockey mit Pressing und schnellem Umschaltspiel (Stichwort: "vier Triebwerke") forciert. Die von ihm installierten Trainer halten durchgängig an dieser Systematik fest. Und: Österreich misst sich in Vorbereitungsspielen mit hochkarätigen Gegnern. Die Spieler haben gelernt, an wem sie sich orientieren müssen.

5. Große Erfahrung

Fast alle der erfolgreichen U20-Spieler werden regelmäßig im Erwachsenen-Eishockey eingesetzt. Die Alps-Hockey-League ist zwar nur die zweithöchste Spielklasse des Landes (aber kein einziger der U20-Crack hat einen Stammplatz bei einem EBEL-Team), dennoch hat ihre Installation einen positiven Effekt auf das österreichische Eishockey. Mit KAC, Salzburg, Linz und Wien verfügen gleich vier EBEL-Klubs über Farmteams, der VSV kooperiert mit Zell/See. Die Idee der Farmteams an sich ist ja nicht neu: Schon von 1998 bis 2000 machten KAC und VSV mit dem "Team 2006" gemeinsame Sache - schon damals wurden einige spätere Profi-Karrieren geboren.

6. Der Elternfaktor

Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist das private Umfeld. In Österreich gibt es nur zwei Eishockey-Akademien (St. Pölten und Red Bull Salzburg), die schulische und sportliche Ausbildung unter einen Hut bringen. Viel ist daher von der Opferbereitschaft (und dem Idealismus) der Eltern wie Großeltern abhängig, die kaum Kosten und wenig Mühen wie "Taxidienste" scheuen. Und das, obwohl Eishockey nicht unbedingt als ertragreicher Sport gilt, die Perspektiven für spätere Karrieren zudem eingeschränkt sind (Stichwort: Import-Problematik in der Liga). Umso mehr sind jene Angehörige hervorzuheben, die Eishockey in ihrer Freizeit fördern.

7. Das neue Zugpferd

Viele Spieler suchen früh den Weg ins Ausland. Das klappt auch dank starker Leistungen in den Nationalteams. Soll heißen: Im Team gut zu spielen eröffnet den Akteuren viele neue Möglichkeiten. Nachwuchs-Auswahlen sind und bleiben Zugpferd für den gesamten Sport - und wichtige Auslage im Transfergeschehen. Viele Scouts wollen nun Österreichs Spieler beobachten, auch weil sich der Eishockey-Verband insgesamt professioneller zeigt. Das war nicht immer so - auch das darf sich ÖEHV-Sportdirektor Bader auf seine Fahnen heften.

Klar ist: Der Aufstieg in die Elite schmeichelt Österreichs Eishockey enorm. Weil die Teilnahme im Kreis der großen Nationen nicht die Normalität widerspiegelt. Egal ob bei Senioren oder auch nur U20: Von einer stabilen Erstklassigkeit im Eishockey ist Österreich unter dem Strich noch weit entfernt. Umso mehr freut der unerwartete Erfolg in Minsk.