Grau und trist, geheimnisvoll und mysteriös - das düstere Bild von Prag vieler Kafka-Anhänger wirkt in den vergangenen Tagen völlig konträr. Die angeführten Ecken gibt es zwar noch immer. Aber es muss nun noch sorgfältiger danach gesucht werden. Seit dem Beginn der Eishockey-WM herrscht in den verwinkelten Gassen der „Goldenen Stadt“ ein buntes Treiben. Unter Abertausende Touristen mischen sich Fans aus der Schweiz, Schweden, Österreich, Lettland, Deutschland und natürlich von Gastgeber Tschechien. Straßen, Autos, Schaufensterscheiben – überall hängen Trikots der „Drustvo“. Während der tschechischen Partien gipfelt das Eishockey-Fieber in einen Ausnahmezustand. Straßen sind leer gefegt, Restaurant-Bestellung können mitunter länger dauern.

Die Fans verteilen sich jedoch nicht nur auf die beiden Fanzonen am Wenzelsplatz und bei der Eishockey-Arena. Viele der typischen Bierkneipen werden bereits am frühen Vormittag von Leuten in Nationalteam-Dressen heimgesucht. U-Bahn-Stationen können sich bei Eishockey-Spielen zum Nadelöhr entwickeln. Enge, steile Schächte führen tief in den Bauch der Stadt, wo kalt-feuchte Luft entgegenschlägt. Die Rolltreppen erfordern aber höchste Aufmerksamkeit. Der eine oder andere Kneipenbesucher wurde schon beim Betreten aus der Balance geworfen. Doch ihre hohe Fahr-Geschwindigkeit beinhaltet auch einen Vorteil. So aussichtslos die Situation vor der Station Ceskomoravská erscheinen mag, wenn 17.000 Eishockey-Verrückte gleichzeitig aus der O2-Arena strömen, so schnell löst sich der Stau auf. Sonderzüge werden eingeschleust, wo lautstark und hüpfend weiter gefeiert wird.

Verbrüderung
Speziell zwischen Österreichern und Schweizern hat längst eine Verbrüderung stattgefunden. Synchron skandieren sie Schlachtgesänge. Eidgenossen singen rot-weiß-rote sowie umgekehrt. Und gemeinsam skandieren sie gegen die Deutschen. Nur hin und wieder wird ein „Hopp Schwiiiz“ von Österreichern unterbrochen, die spontan „4:3“ hinbrüllen. In Anspielung auf den Sieg gegen die Schweizer. Kurze zerknirschte Blicke weichen aber schnell wieder einem freundlichen Lächeln.

Im Grunde wäre auch Kafka davon begeistert gewesen.

MARTIN QUENDLER, PRAG