Wäre das Leben von Julian Nagelsmann ein Fußballspiel, müsste man von einem für den Zuschauer attraktiven Hin und Her mit unvorhersehbarem Ende sprechen. Ein vielversprechender Start der Heimmannschaft, die von einer Tatsachenentscheidung aus der Bahn geworfen wurde, sich selbst nie aufgab und mit etwas Glück in der Nachspielzeit zum größten Erfolg in der persönlichen Geschichte ansetzte. Zum Rekordtransfer reichte es jedenfalls.

Diesen vielversprechenden Start hat Nagelsmann als Jugendlicher hingelegt. Als Kapitän der U17-Mannschaft der Münchner Löwen galt er als Anwärter für eine Karriere im Profibereich. Die Beförderung in die zweite Mannschaft von 1860 kam nach nur einer Saison. Gleichzeitig stellten sich beim damals erst 19-Jährigen die ersten Verletzungen ein. Ein Meniskus- und Knorpelschaden machte den Traum vom Profi noch vor dem ersten Spiel zunichte. Als Trainer ist Nagelsmann nun dabei, das zu erreichen, was ihm als Spieler eventuell ohnehin verwehrt geblieben wäre.

Der große FC Bayern vermeldete am Dienstag die Verpflichtung des 33-Jährigen. Bis zu 25 Millionen Euro legt der Rekordmeister dafür auf den Tisch.  "Etwas Blechernes gewinnen" wollte der jüngste Bundesliga-Coach der Geschichte einmal. Mit der kommenden Saison wird dieser Wunsch zur Pflicht. Wer bei den Bayern keinen Titel holt, der darf sich selten länger Trainer der Bayern nennen.

Den auf sich zukommenden Druck kann sich Nagelsmann ausmalen, mit seinen bisherigen Stationen in Hoffenheim und Leipzig sind die Arbeitsbedingungen aber nicht vergleichbar. Abstiegskampf mit dem Hopp-Klub hin, Champions League mit den Sachsen her. "In der Sinsheimer Badewelt gehe ich nicht mehr so gerne in den Nacktbereich", klagte Nagelsmann mit einem Augenzwinkern noch nach seiner ersten Bestellung zum Chef mit nur 28 Jahren. Der Verzicht auf die Vergnügen der freien Körperkultur war noch verkraftbar, ob ein so junger Trainer auch die in den Himmel reichenden Erwartungen und die wachsende Popularität wegsteckt, wird sich zeigen.

Schon einmal wurde Nagelsmann als Trainer der Bayern gehandelt. Die Münchner waren da gerade auf der Suche nach einem Nachfolger für Carlo Ancelotti."Ich bin in ganz engem Austausch mit Hasenhüttel und Tuchel. Wir einigen uns noch, wer Co-Trainer und wer Chef wird", reagierte der bis dato "nur" deutsche A-Jugend-Meister gewohnt süffisant. Vom Profifußball verbogen wurde der gelernte Defensivspieler – hörbar in fast allen Interviews – nicht. Sympathisch, nahbar und zu jeder Zeit mit einem lockeren Spruch in der Hinterhand bewegt sich der vom Erfolg verwöhnte Nagelsmann ohne groß anzuecken durch die Bundesliga. Gleiches gilt für den Umgang mit seinen Spielern.

Als Rekordmann löst der neue Bayern-Chef, dessen Trainerkarriere als Scout eines gewissen Thomas Tuchel begann, den Portugiesen André Villas-Boas ab. Die Biografien gleichen einander dermaßen, dass man von schlechten Vorzeichen sprechen könnte. Auch Villas-Boas absolvierte kein einziges Spiel als Profi. Nach Erfolgen in jungen Jahren wurde er für 15 Millionen Euro vom FC Chelsea aus Porto geholt – und nur acht Monate später wieder entlassen.

In der Bundesliga gilt der jüngste unter den Cheftrainern als nach vorne orientiert, dem Ballbesitzfußball zugerechnet und in allen Variationen als enorm flexibel. Sein Stil ist aktiv und dominant, der Gegner soll in fast jeder Phase des Spiels unter Druck gesetzt werden. Korrekte und genau zugeordnete Raumaufteilung ist die Grundlage. Als Vorbild an der Seitenlinie gilt Pep Guardiola. Die Hoffenheimer brachte Nagelsmann so von einem Abstiegskandidaten zur ersten Teilnahme in der Königsklasse in der Vereinsgeschichte.

Die Leipziger wurden unter dem "Trainer-Wunderkind" zur zweiten Kraft im deutschen Fußball und zu einem Halbfinalisten in der Champions League. Wie es ist, wenn die besten Spieler ihren gewohnten Weg Richtung Süden gehen, hat Nagelsmann als Trainer mit Sebastian Rudy und Niklas Süle schon miterleben müssen. Beim Ex-Salzburger Dayot Upamecano, der im Sommer ebenso den noch aktuellen Nagelsmann-Klub Richtung Bayern verlassen wird, geht Nagelsmann dann gleich mit.