Rund 100.000 Österreicher leiden an Demenz. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff eigentlich wirklich? Antwort auf diese und andere Fragen zum Thema kann ein Experte wie der Grazer Neurologe und stv. Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie in Graz, Prof. Reinhold Schmidt, geben.

Herr Professor Schmidt, was versteht man unter Demenz genau?
REINHOLD SCHMIDT: Demenz ist der Abbau von vorbestehenden intellektuellen Fähigkeiten in einem Ausmaß, dass die Alltagsaktivitäten und die soziale Kompetenz des Betroffenen beeinträchtigt sind. Es ist nicht nur eine Verminderung von Leistungsfähigkeit im Gedächtnisbereich alleine, sondern es müssen mindestens zwei kognitive Bereiche – wie beispielsweise das Urteilsvermögen, die Orientierung, die Aufmerksamkeit – also alle Teilleistungen unserer Intelligenz, betroffen sein und das Ausmaß muss so stark sein, dass es wirklich alltagsrelevant ist.
Worin liegt der Unterschied zwischen Demenz und Alzheimer?
SCHMIDT: Demenz ist ein Überbegriff für das Syndrom. Ursachen dafür gibt es viele. Die häufigste mit rund 70 Prozent ist die Alzheimer-Erkrankung. Andere Ursachen für demenziellen Abbau können Schlaganfälle, parkinsonassoziierte Demenzformen, seltenere degenerative Demenzen wie beispielsweise der Abbau von Nervenzellen im Stirn- und Schläfenbereich, die so genannte frontotemporale Demenz, sein.
Aber es gibt eben auch im Rahmen von anderen Grunderkrankungen demenzielle Abbauerkrankungen, wie bei Nieren-, Schilddrüsen- oder Lebererkrankungen sowie bei chronischer Medikamenteneinnahme.
Wie äußert sich Demenz im Anfangsstadium?
SCHMIDT: Am Anfang sind es häufig auffällige Wesensveränderungen. Viele werden apathisch, nehmen weniger an ihrer Umwelt teil. Ein frühes Zeichen der klassischen Alzheimerdemenz sind auch Gedächtnisstörungen. Wobei es sich dabei um eine Beeinträchtigung des episodischen Gedächtnisses handelt. Das ist jenes Gedächtnis, das unsere persönlichen Erlebnisse speichert. Dann kommen Orientierungsstörungen hinzu, meistens auch Schwierigkeiten, Zeitzusammenhänge oder das Datum zu wissen. Örtliche Orientierungsschwierigkeiten treten meist erst viel später auf.
Welche Gegenmaßnahmen kann man setzen?
SCHMIDT: Die vor Kurzem publizierte finnische Fingerstudie zeigt, dass man bei Patienten, die bereits Defizite haben, aber noch nicht als dement klassifizierbar sind, durch eine kombinierte Intervention über zwei Jahre langfristig Verbesserungen im Hinblick auf kognitive Leistung erzielen konnte. Diese Intervention beinhaltete kognitives Training, Ernährungsberatung, körperliche Aktivität und eine engmaschige Risikofaktorkontrolle, also eine Kontrolle von vaskulären Risiken wie Diabetes, Hypertonie, erhöhte Fettwerte.
Es nehmen also viele verschiedene Faktoren Einfluss auf die Entwicklung?
SCHMIDT: Ja, es scheint die Multidimensionalität zu sein. Also dass man sowohl kognitives als auch körperliches Training kombiniert und eben auch die Risikofaktoren engmaschig kontrolliert.
Sind Männer und Frauen unterschiedlich häufig betroffen?
SCHMIDT: Ja. Frauen sind ungefähr doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Gründe dafür sind noch unklar. Man nimmt an, dass die neuronale Einheit bei der Frau etwas anders aufgebaut ist als die des Mannes, dass sie anfälliger für degenerative Prozesse ist. Das ist eine der Hypothesen.
Hat die Ernährung Einfluss auf die Entstehung oder Entwicklung von Demenz?
SCHMIDT: Es gibt Hinweise für eine positive Wirkung der Omega- 3-Fettsäuren. Prinzipiell kann man sagen, dass man mit einer mediterranen Ernährungsweise das meiste präventive Potenzial erreichen kann. Interessant ist generell, dass es erste Studienergebnisse gibt, die zeigen, dass sich die Zahl der Neuerkrankungen verringern und dies unter anderem mit einer höheren Bildung in Zusammenhang gebracht werden kann. In der Framingham-Studie wurde in den Zeiträumen von 1980 bis 2010 in bestimmten Abständen die Häufigkeit von Demenzerkrankungen unter Studienteilnehmern mit Highschool-Abschluss untersucht. Am Anfang der Studie erkrankten innerhalb der ersten fünf Jahre 3,8 von 100 Personen an Demenz. Diese Zahl hat sich in diesen Fünf-Jahres-Abschnitten bis 2010 kontinuierlich reduziert. Am Ende der Studie erkrankten nur noch zwei von 100 Personen. Das heißt aber nicht, dass die Anzahl der an Demenz Erkrankten letztlich abnehmen wird, sondern es zeigt, dass durch geänderte sozioökonomische Bedingungen, wie beispielsweise ein höherer Bildungslevel, eine bessere Kontrolle der Risikofaktoren sowie ein veränderter Lebensstil, ein positiver Einfluss auf die Entstehung von Demenz zu erzielen ist.
Warum ist dies wichtig?
SCHMIDT: Nachdem der Anstieg beziehungsweise die Häufigkeit von Demenzerkrankungen sehr stark altersabhängig ist und ab dem Alter von 80 Jahren wirklich steil nach oben geht, hätte man durch die Verzögerung des Auftretens der Demenz um fünf Jahre in 15 Jahren nur halb so viele demenzkranke Personen.
Gibt es Aussicht auf Heilung beziehungsweise Linderung der Erkrankung?
SCHMIDT: Da gibt es verschiedene Ansätze. In Österreich wurde innerhalb einer Studie die erste Tau-Impfung weltweit durchgeführt. Die Impfung soll die Reduktion des pathologischen Taus – Tau-Proteine sind maßgeblich am Stofftransport innerhalb der Nervenzellen beteiligt – bewirken. Die klinische Wirksamkeit einer solchen Phase-1-Studie abzuleiten, wäre nicht seriös. Aber die positiven Ergebnisse dieser Studie haben dazu geführt, dass nun die nächste Studienphase eingeleitet wurde, die nun wesentlich größere Fallzahlen einschließt. Sie gibt dann hoffentlich schon Hinweise auf die klinische Wirksamkeit.