Warum ist es heute schwieriger, eine ausgewogene Balance zwischen Berufs- und Familienleben zu finden als vor 20 Jahren?
Wolfram Pirchner: Es war vor 20 Jahren schon schwierig. Heute ist es noch schwieriger, weil die Anforderungen stetig steigen – sowohl im Privat-, als auch im Berufsleben. Und ganz entscheidend: Die gesellschaftliche Rolle der Frau hat sich massiv verändert. Außerdem praktizieren Frauen die Integration und Koordination von Privat- und Berufsleben viel intensiver als Männer. Diese Balance ist wichtig, weil das Spannungsfeld, das sonst entsteht, äußerst mächtig und beherrschend werden kann.

Meist wird heute der Begriff „Work-Life-Balance“ (WLB) verwendet. Eigentlich ist der Begriff ja irreführend, da "Work" ja auch "Life" ist.
Pirchner: Meiner Meinung nach geht es um das Verhältnis der Hauptlebensbereiche zueinander: Meine Familie, meine sozialen Kontakte, mein Beruf und – das vergessen leider viele – mich als Individuum und meinen Körper. Wenn diese Lebensbereiche im Einklang stehen, dann steht es "wohl" um mich. Das ist für mich "Wohlstand".

Bleiben wir bei dem gelernten Begriff: Was sind die ersten Anzeichen, dass die WLB nicht stimmt?
Pirchner: Die WLB stimmt nicht oder nicht mehr, wenn sich Unzufriedenheit und ein Gefühl der Sinnlosigkeit an meinem täglichen Tun und Dasein einschleichen. Wenn ich mich über- oder unterfordert fühle. Wenn ich – aus meiner Sicht – nicht viel wert bin. Wenn die Kommunikation nach außen und nach innen nicht mehr passt. Wenn ich täglich negative Gedankenspiralen fabriziere und in Wörtern und Bildern (sprich: Gedanken) mit mir schlecht umgehe. Und wenn ich mich schlapp, ausgelaugt, müde und lustlos fühle.

Was sind die ersten Schritte, um sie wieder in Ordnung zu bringen?
Pirchner: Wenn es mir über einen längeren Zeitraum hinweg schlecht geht, dann hole ich mir professionelle Hilfe bei einem Kollegen, also einem Lebensberater. Das ist keine Schande, auch wenn das für manche in unseren Breitengraden immer noch ein Tabuthema ist. Ich bin es mir schuldig, dass ich mich in den Mittelpunkt meines Lebens stelle und dass ich für mich etwas tue. Und das hat nichts mit Egoismus zu tun.

Welchen Einfluss haben Führungskräfte auf die WLB, welchen man selbst?
Pirchner: Führungskräfte können ein breit gefächertes Angebot zum Thema WLB machen und tun das ja auch oft. Ob flexiblere Arbeitszeiten oder eine Veränderung der Unternehmenskultur, Auszeiten, Gesundheitschecks, Fitnessangebote, Workshops, Seminare etc. – die Themenpalette ist unerschöpflich. Nur: Wenn man etwas für sich verändern will, muss man die­se Angebote auch annehmen, Zeit investieren und verwerten. Oft wird von Seiten der Arbeitnehmer kritisiert, dass es ein viel zu kleines bis kein Angebot gäbe und das stimmt so häufig nicht. Fehlendes Interesse hierbei auszuschalten, wäre anzuraten. Also besser: "Hin zu" anstatt "weg von".

Sie waren dem Burnout einmal sehr nahe. Wie gehen Sie heute mit zu viel an Arbeit um?
Pirchner: Ich arbeite nicht mehr zu viel, weil ich gelernt habe, nein zu sagen. Ohne Begründung. Ich weiß auch, dass es ein schönes Stück Arbeit ist, in entscheidenden Phasen des Lebens mental zurückzutreten.

Was hat Ihnen dabei geholfen?
Pirchner: Die Bereitschaft, etwas für mich zu tun und dazu zu stehen, dass ich "verrückt" war – und im übrigen immer noch bin. Die Erkenntnis, dass das, was andere über mich reden, denken, etc. völlig bedeutungslos für meine Lebensqualität ist. Personell haben mich eine Psychotherapeutin und eine Lebensberaterin ganz entscheidend begleitet.

Warum haben Sie sich zum Lebensberater ausbilden lassen?
Pirchner: Weil ich nach meinem Panikattacken-Outing im Fernsehen tausende Zuschriften bekommen habe mit der Bitte: "Helfen Sie mir!" Ich habe eine gute Coachausbildung gesucht und sie an der Universität Salzburg und am Mentalcollege Bregenz gefunden. Seither bin ich Lebensberater und stolz auf mich, dass ich das gemeistert habe.