Was von den Utopien blieb

Ihrem Atelier-Auslandsstipendium 2021 ist ein Besuch in Split 2019 vorangegangen, wo die Künstlerin Julia Gaisbacher erstmals die Wohnbauanlage „Split 3“ besuchte und in den Mittelpunkt eines ihrer künstlerischen Projekte stellte. Inhaltlich war sie dabei an der Architektur, an der Infrastruktur, am Leben und an den Menschen vor Ort interessiert.

„Ziel der Residency war es, in einer prozesshaften Arbeitsweise, den Status quo von Split 3 zu erfassen und auf fotografisch und künstlerische Weise zu bearbeiten“, beschreibt Julia Gaisbacher ihr Ziel.

© (c) Julia Gaisbacher

Eine künstlerische Annäherung war ihr „Mapping Split 3“: Durch wiederkehrende Besuche näherte sich die Künstlerin der Architektur und setzte sich mit dem Leben vor Ort auseinander. Die einzelnen Besuche dokumentierte sie auf Google-Earth-Karten und hielt sie fotografisch fest. So sind zwölf Karten und 73 Bilder entstanden. In ihrer Arbeit „30 Bäume“ konzentrierte sie sich auf eine Brachfläche, gedacht als Regenerationsanlage, die im Zuge der Umstrukturierungen privatisiert wurde und nun Fläche für zahlreiche Spekulationen ist.

© (c) Julia Gaisbacher

Zu Fluss bis zum Schwarzen Meer

Den September und Oktober 2021 hat die Grazer Künstlerin Christina Helena Romirer auf der Donau verbracht. Und zwar an Bord der MS-Fusion A.I.R., einem sehr archaischem, nur mit zwei Plattformen, Zelt und riesigem Wasserkanister ausgestatteten Katamaran, der in Novi Sad in See (in Fluß) gestochen und bis zum Schwarzen Meer hinunter getuckert ist.

Durch ihre eigenwillige Konstruktion und ihren fast endzeitlichen Charme erregt die MS Fusion keine geringe Aufmerksamkeit und wird so selbst in gewissser Weise zum mobilen Kunstwerk. Das Nutzungskonzept basiert auf der langjährigen Erfahrung von Rainer Prohaska, der sein Schiff (und andere eigens für die Flussfahrt konstruierte Fahrzeuge) bereits für zahlreiche „Artist & Scientist in Residence“-Programme zur Verfügung gestellt hat.

Auf diesem kuriosen Forschungs-Schinakel, welches neben dem Kapitän noch Platz für sechs Menschen bietet, hat Romirer fotografiert, gefilmt und Wasserproben entnommen. Zur Zeit entsteht ihr Künstler:innenbuch „Logbuch“, das die Reise mit Blick auf die Wasserqualität dokumentiert.

Christina Helena Romirer, geboren 1982 in Graz, lebt und arbeitet vorwiegend in Wien. Sie studierte Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst (Diplom 2017) und Bühnengestaltung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (Diplom 2009). Romirer ist als bildende Künstlerin und Szenografin tätig und hat an zahlreichen Artist-in-Residence-Programmen sowie nationalen und internationalen Ausstellungen teilgenommen.

Christina Helena Romirer an Bord der MS-Fusion
Christina Helena Romirer an Bord der MS-Fusion © Scmidt

Filme wie Gedichte machen

Katharina Copony wurde 1972 in Graz geboren und studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien visuelle Mediengestaltung bei Peter Weibel. In ihren bis dato sieben Filmen beschäftigt sich die Filmautorin gerne mit vergänglichen Räumen und mit gesellschaftlichen und topografischen Übergangszonen. Auch die Intimität von Innenräumen – also die Räume, in denen ihre Subjekte leben oder Ausschnitte ihres Lebens verbracht haben – finden sich als visuelles Element immer wieder. Die Protagonisten Coponys erscheinen meist als Underdogs der Gesellschaft.

Im Juni und September 2021 verbrachte sie einen Rechercheaufenthalt in Triest, der als Vorbereitung für ein Film-Feature diente. Was wurde aus den Ideen Franco Basaglias, des berühmten italienischen Psychiaters und revolutionären Psychiatriereformers? Welche Bedeutung haben diese heute noch? In Triest, wo Basaglia auch arbeitete, entstanden Fotos und Videos, die Copony zusammen mit persönlichen Notizen, Zitaten und Fachtexten zu einem Büchlein zusammenführt. Der Dreh für den großen Film wird hoffentlich in nächster Zeit stattfinden können.
Katharina Copony lebt und arbeitet in Berlin. Seit 2016 lehrt sie unter anderem als Dozentin an der Universität der Künste Berlin.

Katharina Copony verbrachte einen Recherche-Aufenthalt in Triest
Katharina Copony verbrachte einen Recherche-Aufenthalt in Triest © Emily Artmann

Seidenraupe im gewebten Kokon

Marlene Hausegger, geboren 1984 in Leoben, beschäftigt sich in ihrer Kunst „mit versteckten Limitationen und verkappten Möglichkeiten sozialer Situationen“. Während ihres Atelier-Auslandsstipendiums war sie – limitiert durch einen strengen Corona-Lockdown – in der griechischen Hauptstadt Athen. „Es war lebendig und einsam gleichzeitig“, erinnert sich die Künstlerin, die sich in ihrem Projekt mit der Geschichte und dem Wandel des Stadtviertels Metaxourigio und der dort kaum mehr existenten Seidenindustrie auseinandersetzte. Hausegger: „Metaxourigio – Metaxi ist das griechische Wort für Seide – mit seinen schönen alten Jahrhundertwende-Häusern war nach dem Niedergang der Seidenindustrie stark von Verfall und Vernachlässigung betroffen. Nur mehr die ehemaligen Fabrikhallen und die Maulbeerbäume erzählen von dieser Geschichte.“


Der Bezirk wurde danach von der Mode bzw. von deren riesigen Verkaufshallen und Fashion-Outlet-Stores erobert. Aus Materialien, die sie rund um die große Verkaufshallen sammelte webte sie einen Kokon. Ihrem Werk zugrunde liegen dabei die Gedanken an Massenkonsum, globale Abhängigkeit und Transformationsprozesse, letztere nicht nur die von Seidenraupen.

Marlene Hausegger war in Athen unterwegs
Marlene Hausegger war in Athen unterwegs © The Breedergallery

Vernetztes Arbeiten in der Community

Dort wo Kunst und Soziales zusammenkommen, lotet Iris Kasper (geboren 1995 in Graz) unterschiedliche Standpunkte, Sichtweisen und Zugänge aus. Genau das hatte sie auch in Tiflis vor, in der Hauptstadt Georgiens, einem Land am Rande Europas, das historisch betrachtet immer wieder um Zugehörigkeit, Unabhängigkeit und Identität kämpfen musste. Iris Kasper wollte während ihres zweimonatigen Stipendienaufenthalts ein Projekt verwirklichen, das zu den Wechselwirkungen von Stadtentwicklung und Alltag, Zusammenleben und Kunst Bezug nimmt. „Tiflis hat in den letzten Jahren eine Welle der Urbanisierung erfahren. Stadtentwicklung und Gentrifizierung wirken sich auch immer auf den Alltag der Anwohner:innen aus“, schrieb Iris Kasper in ihrer Bewerbung.
In Tiflis lernte sie, unterstützt von GeoAIR/Sophia Tabatadze, in zahlreichen Atelierbesuchen und Stadtrundgängen viele Menschen und eine lebendige Kulturszene kennen. Unterstützt vom CCS Center of Contemporary Art gelang es ihr, sich zu vernetzen, Themen aufzuspüren und einen Artist Talk mit deutschen Residenz-Künstler:innen auf die Beine zu stellen. Auch eine Ausstellung mit drei lokalen Kunstschaffenden wurde umgesetzt.

Iris Kasper studierte Schnittpunkte zwischen Kunst und Sozialem in Tilfis
Iris Kasper studierte Schnittpunkte zwischen Kunst und Sozialem in Tilfis © (c) Donald Hai Phu Daedalus