Die Ermittlungen zur Ursache des Seilbahnunglücks am Lago Maggiore in der norditalienischen Region Piemont mit 14 Todesopfern laufen auf Hochtouren. Neben dem Kabelriss muss die Staatsanwaltschaft der piemontesischen Stadt Verbania, die mit den Ermittlungen beauftragt wurde, auch prüfen, warum die Notbremse der abgestürzten Seilbahn-Kabine nicht funktioniert hat. Die Seilbahn war circa 100 Meter vor Ankunft am Berg Mottarone 20 Meter in die Tiefe gestürzt. An Bord befanden sich 15 Menschen.

Mit einem Trauertag gedachte die Kleinstadt Stresa am Lago Maggiore die 14 Todesopfer des Seilbahnunglücks am Sonntag. Die Läden der Geschäfte schlossen am Montag um 12 Uhr zu Ehren der Verunglückten. Die Glocken schlugen eine Minute lang für jedes der 14 Opfer. Die Fahnen in der Stadt wurden auf Halbmast gesetzt.

Neunjähriger im Krankenhaus verstorben

Der Notruf nach dem Absturz der Gondel traf gegen 12.15 Uhr ein. Eine Person, die das Unglück beobachtet hatte, schlug Alarm. Zwei Hubschrauber des regionalen Rettungsdienstes wurden entsandt. Die Retter bargen die einzigen beiden Überlebenden, zwei Buben im Alter von neun und fünf Jahren. Sie wurden mit dem Hubschrauber in das Krankenhaus "Regina Margherita" in Turin transportiert.

Der schwer verletzte Neunjährige erlag am Sonntagabend im Krankenhaus von Turin den schweren Verletzungen, die er sich beim Absturz der Seilbahn-Kabine auf der Strecke Stresa-Mottarone zugezogen hatte. Der fünfjährige Bub, nunmehr der einzige Überlebende des Seilbahnunglücks am Lago Maggiore, kämpft weiterhin um sein Leben.

Er befand sich am Montag auf der Intensivstation des Kinderkrankenhauses "Regina Margherita" in Turin, wo er am Vortag wegen mehrerer Frakturen operiert worden war. Noch ist unklar, ob er Gehirnschäden erlitten hat, berichteten die Ärzte des Turiner Krankenhauses. 

Fünfjähriger verlor seine ganze Familie

Das israelische Außenministerium bestätigte laut dpa am Montag den Tod von fünf Staatsbürgern. Es handle sich um Mitglieder einer Familie, teilte das Außenministerium in Jerusalem mit. Getötet wurden bei dem Unglück demnach ein Ehepaar und ihr zweijähriger Sohn, die in Italien lebten und arbeiteten. Der fünfjährige Sohn des Paares sei schwer verletzt worden und werde in einem Krankenhaus behandelt. Gestorben seien bei dem Absturz zudem die Eltern der Frau, die zu Besuch in Italien waren.

Die Familie des fünfjährigen Buben, die israelischer Herkunft ist, wohnte seit Jahren in der lombardischen Stadt Pavia. Die in Israel lebenden Großeltern waren zu einem Besuch. Die Familie hatte beschlossen, sich am Sonntag einen Ausflug an den Lago Maggiore zu gönnen.

Zu den Opfern zählt auch ein iranischer Student, der in Rom lebte. Der 23-Jährige hatte seine 27-jährige Freundin besucht, die am Lago Maggiore arbeitete. Beide kamen beim Absturz ums Leben. Verunglückt ist auch ein junges Paar aus der lombardischen Stadt Varese, berichteten die Behörden.

Kabelriss wird vermutet

Eine Untersuchungskommission wurde eingerichtet, um die Ursachen des Seilbahnunglücks zu ergründen. Die Gondel der bei Touristen beliebten Seilbahn war nach Angaben der Behörden am Sonntag auf dem Weg von der Kleinstadt Stresa zum Gipfel des Berges Mottarone, als sie gegen Mittag aus rund 20 Metern Höhe abstürzte. Die Ursache des Unglücks war zunächst unklar. Stresas Bürgermeisterin Marcella Severino sagte dem Sender RAI, Wanderer in der Nähe hätten vor dem Absturz ein lautes Zischen gehört, was auf einen Riss des Seiles hindeuten könne. Dann sei die Gondel nach ihrem Aufprall noch ein Stück den bewaldeten Berghang hinuntergerollt. Viele Menschen seien in der Gondel eingeschlossen und andere hinausgeschleudert worden.

"Wie auf einem Kriegsschauplatz"

Alle Straßen, die zum Mottarone-Berg auf einer Höhe von circa 1420 Metern führen, wurden geschlossen, um die Bergungsarbeiten zu erleichtern.

In der Zwischenzeit trafen die Bodenteams der Alpinen Rettung ein und setzten die Bergung der Leichen fort. "Es war wie nach einem Kriegsschauplatz. In 25 Jahren habe ich noch nie so etwas erlebt", betonte der Leiter der Alpinrettung in der Provinz Verbania, Matteo Gasparini.

Der italienische Verkehrsminister Enrico Giovannini besichtigte am Montag den Unglücksort. Er leitete ein Treffen mit dem Zivilschutz und kondolierte den Familien der Todesopfer.

Die Tragödie am Lago Maggiore weckte in Italien Erinnerungen an ein weiteres Seilbahnunglück in Norditalien im Jahr 1998. Ein US-Militärjet kappte damals im Tiefflug das Kabel einer Seilbahn, die Cavalese mit dem höher gelegenen Skiort Cermis im Trentino verband. Mit dem Seitenleitwerk des Flugzeugs wurde das Tragseil der talwärts fahrenden Kabine durchtrennt. 20 Gondel-Insassen wurden in den Tod gerissen. Unter den Opfern waren auch ein 37-jähriger Wiener und eine gebürtige Innsbruckerin, die in Brixen lebte. Ein weiteres Todesopfer stammte aus München, lebte aber zuletzt in Wien. Die anderen Opfer kamen aus Deutschland, Belgien, Polen, Italien und den Niederlanden.

Rettungskräfte erreichen die Gondel
Rettungskräfte erreichen die Gondel © Twitter

Seilbahn erst seit 24. April wieder geöffnet

Die 1970 errichtete Seilbahn war nach dem Lockdown infolge der Pandemie erst am 24. April geöffnet worden. Sie verbindet Stresa, eine der bekanntesten Ortschaften am Lago Maggiore, mit dem Mottarone-Berg und fährt im 20-Minuten-Takt. Die Seilbahn war 2014 wegen Instandhaltungsarbeiten geschlossen und 2016 wieder in Betrieb gesetzt worden.

Wegen des schönen Wetters waren unzählige Touristen am Sonntag mit der Seilbahn unterwegs, um von der Spitze des Mottarone-Bergs die Aussicht über den Lago Maggiore zu genießen. Seit diesem Wochenende sind in Italien nach einem 14-monatigen Stillstand wieder Skianlagen in Betrieb.

Große Betroffenheit

Der italienische PremierMario Draghi äußerte wegen des "tragischen Unglücks" seine Bestürzung. Er kondolierte im Namen der Regierung den Familien der Opfer. Er sei mit den Rettungseinheiten in Kontakt, schrieb Draghi per Twitter. Auch Außenminister Luigi Di Maio und andere Mitglieder aus dem Kabinett Draghi zeigten sich via Twitter bestürzt über das Unglück.

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz drückte Italien seine Nähe aus. "Meine Gedanken sind nach dem tragischen Seilbahnunglück am Lago Maggiore bei Italien. Ich spreche den Familien und Freunden der Opfer mein aufrichtiges Beileid aus und wünsche den Verletzten eine baldige Genesung", so Kurz per Twitter.

EU-Ratschef Charles Michel kondolierte den Familien der Todesopfer ebenfalls. "Ich spreche allen Familien und Freunden, die beim tragischen Seilbahnunfall in Stresa am Lago Maggiore einen geliebten Menschen verloren haben, mein tiefstes Beileid aus. Europa trauert mit Ihnen. Ich wünsche den Überlebenden eine baldige Genesung. Bleiben Sie stark!", so Michel in einer Botschaft auf Italienisch via Twitter.

"In dieser Zeit der Trauer schließe ich mich den Angehörigen und Freunden der Opfer des tragischen Seilbahnunglücks an. Meine Gedanken und die des Europäischen Parlaments sind bei Ihnen", schrieb David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments in einem Tweet. Er forderte, dass "sofort Klarheit über die Ursachen dieser absurden Tragödie" gemacht werde.

Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung

Die Staatsanwaltschaft der piemontesischen Stadt Verbania hat am Montag Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung in die Wege geleitet. Eine Kommission aus Fachleuten unterstützt die Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft. Ein Kabelriss und nicht funktionierende Bremsen sollen die Ursachen des Unglücks gewesen sein.

Das Südtiroler Unternehmen Leitner, das für die Wartungen der Seilbahn zuständig ist, gab an, dass bei der letzten Kontrolle im November 2020 keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden seien. Die Prüfung erfolge jährlich. Auch nach der Generalüberholung der Bahn im Jahr 2016 sei die Anlage genau kontrolliert worden. Das Unternehmen erklärte sich bereit, mit der Staatsanwaltschaft bei der Klärung der Ursachen des Unglücks zusammenzuarbeiten.

Seilbahnbauer listet Wartungsarbeiten auf

Seilbahnbauer Leitner hat alle Kontrollen und Wartungsarbeiten aufgelistet, die er in den vergangenen Monaten durchgeführt hat. "Diese entsprechen den Anforderungen der geltenden Gesetzgebung und basieren auf dem mit der Betreibergesellschaft 'Ferrovie del Mottarone' abgeschlossenen Wartungsvertrag", schrieb Leitner in einer am Montag veröffentlichten Presseaussendung.

Am 3. Mai wurde demnach die Wartung und die Kontrolle der hydraulischen Bremsanlagen der Fahrzeuge durchgeführt. Vom 29. März bis 1. April wurden alle mechanischen Sicherheitskomponenten der Seilbahn-Anlage geprüft. Diese waren für die im August 2021 fällige Fünfjahresrevision vorgesehen und wurden vorgezogen. Am 18. März war eine Funktionsprüfung des gesamten Antriebssystems durchgeführt worden.

Am 4. und 5. März war es zu einer Schmierung und zur Kontrolle der Laufrollen und der Seilscheiben in den Stationen gekommen. Am 1. Dezember 2020 wurde ein Test mit einer Simulation des Zugseilrisses und anschließendem Einfallen der Tragseilbremse durchgeführt. Am 5. November 2020 gab es eine regelmäßige magnetinduktive Kontrolle der Zugseile und aller Seile der Anlage mit positivem Ergebnis.

"Die täglichen und wöchentlichen Kontrollen, welche die Betriebsvorschriften sowie die Bedienungs- und Wartungsanleitung vorsehen, liegen in der Verantwortung des Betreibers", hieß es in der Presseaussendung. Das Unternehmen Leitner sei zutiefst erschüttert und drücke den Angehörigen der Opfer sein aufrichtiges Mitgefühl aus. "Gemeinsam mit den eigenen Technikern steht man zur vollsten Verfügung, um die Ursachen für diese schreckliche Tragödie zu ermitteln", hieß es.