Trotz höherer Arbeitslosigkeit und Kurzarbeitgibt es einen Fachkräftemangel. Welche Sparten sind dabei besonders betroffen?
Der Fachkräftemangel hat viele Branchen erfasst, insbesondere die Bereiche Technik, Handwerk, IT, Umwelt und Pflege sind davon betroffen. Durch die Öffnungsschritte kommt aber auch der Bereich Tourismus wieder zunehmend unter Druck, dort mangelt es schlichtweg an Arbeitskräften – analog zur Situation vor Pandemiebeginn. So verzeichnen wir paradoxerweise gerade in einer historischen Krisensituation einen Rekord an offenen Stellen.
Welche Lösungen gäbe es aus Ihrer Sicht dafür?
Kurzfristig wird entscheidend sein, die Vermittlung – vor allem auch überregional – zu stärken sowie die negativen Anreizsysteme, die es krisenbedingt gab, wieder zurückzufahren, um die Jobaufnahme zu forcieren. Unterstützungsleistungen sollten generell stärker von der Qualifizierungsbereitschaft der Unterstützungsempfänger abhängig gemacht werden. Darüber hinaus wird es wichtig sein, die durch die Corona-Joboffensive zur Verfügung stehenden Mittel effizient einzusetzen. Und: Ohne qualifizierte Zuwanderung wird es, allein schon aufgrund der demographischen Entwicklung, nicht gehen.
Wie gehen Firmen gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten mit der Knappheit um?
Soweit es geht, setzt man auf innerbetriebliche Flexibilität und versucht, die bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich weiterzubilden und höher zu qualifizieren wie auch älterer Arbeitnehmer länger im Unternehmen zu halten. Viele beteiligen sich auch an internationalen Lehrlings- und Fachkräftescouting-Projekten, die Zeit und Ressourcen kosten. Kurzfristig müssen auch neue Aufträge abgelehnt werden, was betriebs- und volkswirtschaftlich, gerade in herausfordernden Zeiten, alles andere als wünschenswert ist.
Was können KMU tun, um sich bei der Fachkräftesuche gegen Großunternehmen durchzusetzen?
Vor allem KMU können Fachkräften viele Vorteile anbieten, die gerne übersehen und wenig kommuniziert werden. KMU punkten insbesondere auf der emotionalen Seite, da dort zwischenmenschliche Beziehungen besonders zählen (beruflich wie privat). Dies wird durch familienähnliche Strukturen, flache Hierarchien sowie einen zumeist sehr unkomplizierten und direkten Umgang in Bezug auf die Gestaltung der Arbeitsprozesse ergänzt. Diese Vorzüge gilt es entsprechend hervorzuheben.
Was sind die größten Herausforderungen für Unternehmen in der Mitarbeiterbindung?
Es wird immer deutlicher, dass die Löhne und Gehälter allein nicht der Schlüssel für eine erfolgreiche Mitarbeiterbindung sind. Die Ansprüche – Stichwort Millennials – verändern sich. Ganz wichtig sind daher das „Employer Branding“, die Authentizität sowie ein gesteigertes Maß an Flexibilität. Das erfordert in vielen Unternehmen ein Umdenken bzw. gar ein Überbordwerfen tradierter Herangehensweisen.
Wie sieht es bei den Berufseinsteigern aus? Gibt es hier bereits Probleme, Stellen adäquat zu besetzen?
Wir stellen derzeit fest, dass an den Schulen im Vergleich zu den Vorjahren viele Jugendliche „durchgewinkt“ werden, was diese veranlasst, ihre Schullaufbahn – unabhängig davon, ob diese erfolgreich ist oder nicht – fortzusetzen. Das ist auch bei der Zahl der Lehrstellensuchenden zu spüren, die Bildungswechsler fehlen uns jetzt am Lehrstellenmarkt. Für den Mai 2021 bestand in der Steiermark eine Lehrstellenüberhang von 1.117 Lehrstellen! Daher gilt es nunmehr rasch Maßnahmen zu setzen, um dem Mangel im Lehrlingsbereich rasch zu begegnen bzw. dem voraussichtlich höheren Schul-Drop-Out in den kommenden Jahren Herr zu werden.
Wären Corona-Krise und der Boom vieler Branchen nicht eine Chance, um den Stellenwert der Lehre wieder mehr zu betonen beziehungsweise zu heben?
Ja, definitiv. Vor allem bietet auch der strukturelle Wandel die Chance, die Vielseitigkeit der Arbeitswelt aufzuzeigen und darzustellen, welche neuen, spannenden Lehrberufe es mittlerweile gibt. Der Kampf um die schwindende „Ressource“ Jugend (demografische Entwicklung) wird in den nächsten Jahren zunehmen – daher gilt es, neue Wege in der Kommunikation und Bewerbung des dualen Systems zu beschreiten. Als WKO Steiermark versuchen wir dem mit einem breiten Angebot wie etwa dem TalentCenter, Center of Excellence, WIFI und FH Campus 02 Rechnung zu tragen. Ein viel beachtetes Ausrufezeichen werden im Herbst 2021 sicherlich die EuroSkills in Graz sein.