Drei Gletscher sind stationär geblieben und einer ist vorgestoßen, teilte Glaziologin Andrea Fischer bei der Präsentation des "Gletscherberichts 2014/15" am Freitag in Innsbruck mit. Damit sei die Zahl der zurückschmelzenden Gletscher gegenüber dem vorigen Berichtsjahr um zehn Prozent angestiegen. Für das Jahr 2014/15 ergibt sich laut den Messergebnissen der ehrenamtlichen Gletschermesser des Alpenvereins ein mittlerer Längenverlust von 22,6 Metern. Dies liege deutliche über den Werten der Vorjahre. Das letzte Mal seien 2007 und 2003 ähnlich hohe Werte erreicht worden.
Drei Gletscher hat die Hitze im vergangenen Jahr besonders schwer getroffen. Das Horn Kees in den Zillertaler Alpen wurde um 136 Meter kürzer. Der Gepatsch Ferner in den Ötztaler Alpen sei um 121,5 Meter zurückgegangen, und auch der Taschach Ferner im Pitztal verlor 101 Meter an Länge. 2013/14 habe es im Vergleich dazu keinen Rückgang von über 100 Metern gegeben.
Der Eiskar Gletscher in den Karnischen Alpen, der Grünau Ferner in den Stubaier Alpen und der Wandnischengletscher Roter Knopf in der Schobergruppe blieben stationär. Einzig das Winkl Kees in der Ankogel- Hochalmspitz Gruppe ist um viereinhalb Meter vorgestoßen. Das Schwinden von Österreichs größtem Gletscher, der Pasterze, liege mit einem Verlust von 54,4 Metern in derselben Größenordnung wie in den Vorjahren.
Die Mitteltemperatur der Bergstationen Sonnblick, Säntis und Zugspitze sei von Oktober 2014 bis September 2015 um 2,3 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel gelegen. Der November sei sogar um 5,1 Grad Celsius zu warm gewesen, der Juli um 4,9 Grad und der August um vier Grad. Die Abweichung des Jahres 2015 sei damit der höchste Wert seit Beginn der homogenisierten Datenreihen aller drei Stationen im Jahr 1901.
"Lange andauernde Hochdrucklagen und das Ausbleiben sommerlicher Schneefälle, das sind die Zutaten für ein viel zu warmes Messjahr und damit Grund für die aktuellen Gletscherrückgänge", erklärte Fischer. Auf den Gletschern habe zu Beginn des Frühjahrs der Schnee aus dem Herbst gefehlt. Im Hochsommer hätten Kaltlufteinbrüche mit Schneefällen auf den Gletschern gefehlt und auch die nächtliche Abkühlung habe die Schmelze in den extrem warmen Monaten nicht unterbrechen können, so die Glaziologin.
Dieser Gletscherrückgang führt laut dem Salzburger Geomorphologe Jan-Christoph Otto zu einer Zunahme von Gletscherseen. Er untersucht an der Universität Salzburg gemeinsam mit weiteren Forschern aus Österreich und der Schweiz die durch das Abschmelzen der Gletscher ausgelöste Bildung und zukünftige Entwicklung von glazialen Seen in Österreich. Im Zuge des Projektes "Futurelakes" hat das Team zunächst ein Verzeichnis ("Inventar") aller Seen oberhalb von 1.700 Metern Seehöhe erstellt.
Die 1.626 kartierten Seen decken eine Wasserfläche von rund 25 Quadratkilometer ab. Durch die Verknüpfung mit den österreichischen Gletscherinventaren seit 1850 konnten die Forscher auf ihre Entstehungszeit rückschließen: Demnach sind seit 1850 in Österreich 265 neue Gletscherseen entstanden. "Mehr als 200 sind weniger als 150 Jahre alt und die Daten zeigen, dass die Zahl der neu entstandenen Seen seit Ende der 1970er-Jahre zunimmt", so der Projektleiter.
Die Becken der Gletscherseen sind eine Folge der Erosion, die unter dem Eis eine Senke aushöhlen kann. In dieser kann durch das weitere Abschmelzens des Eises ein See entstehen. Alternativ kann sich Wasser hinter einer Barriere aus Moränenschutt oder Eis, oder einer Massenbewegung ansammeln. Ziel der im Projektteam versammelten Glaziologen, Geomorphologen und Hydrologen ist es auch, in die Zukunft der Seenbildung unter den österreichischen Gletschern zu blicken: "Wir modellieren den Felsuntergrund mithilfe von digitalen Geländemodellen, um mögliche Vertiefungen zu erkennen", so der Experte.
"Die ersten Ergebnisse deuten an, dass sich unter den Gletschern mehr als 150 Vertiefungen befinden", schilderte Otto. Falls sie tatsächlich Gletscherseen werden, könnten sie ein Gesamtvolumen von 230 Millionen Kubikmetern aufstauen. Dementsprechend wird laut Otto das hochalpine Landschaftsbild in 50 Jahren ein ganz anderes sein: "Die weiße Farbe wird vielerorts fehlen, dafür werden Grau und Grün das Bild bestimmen", blickte der Geomorphologe in die Zukunft.
Das Projekt stellt die Datenbasis für die Entwicklung möglicher Reaktions- und Anpassungsstrategien auf den künftigen Landschaftswandel bereit. Denn die schmelzenden Gletscher und neuen glazialen Seen prägen nicht nur das Landschaftsbild neu: "Diese Seen können wichtige ökologische und sozio-ökonomische Auswirkungen auf die Hochgebirgssysteme haben", wie der Forscher betonte.
"Diese reichen bis zur Entstehung von Naturgefahren", erläuterte Otto. Steine oder Eis könnten beispielsweise eine Schwall- oder Flutwelle mit katastrophalen Auswirkungen verursachen. Staudämme könnten die Gefahr zwar bannen und gleichzeitig der Produktion von Wasserkraft dienen. Doch das würde die Optik und den Charakter der Hochgebirgsregion wieder deutlich verändern, erklärte der Projektleiter.