1. Wie überraschend war der Rücktritt von Peter Pilz? Sehr, sehr  überraschend. Zwischen dem Auftauchen der ersten Vorwürfe bis zum Rücktritt des Grünen Urgesteins vergingen weniger als 20 Stunden. Erste Vorwürfe tauchten am Freitagnachmittag auf den Online-Seiten von "Presse" und "Profil" auf, die Meldungen verbreiteten sich in Windeseile via Twitter. Am frühen Abend wurde dann plötzlich die Causa Alpbach publik, zwei Augenzeugen outeten Pilz auf Twitter als Grapscher (alle Hintergründe und Details lesen Sie in der Sonntagsausgabe der Kleinen Zeitung).

Samstag früh konfrontierte "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk Peter Pilz mit der am Vorabend aufgetauchten Alpbach-Affäre. Drei Stunden später trat Pilz zurück. Ohne Twitter wäre Pilz noch in Amt und Würden.

2. Warum trat Pilz wegen der Alpbach-Affäre zurück? Bekanntlich soll es in dem Tiroler Alpendorf im Sommer 2013 am Rande des Justizempfangs zu einem sexuellen Übergriff an einer jungen Juristin gekommen sein (Details dazu  in der Sonntagsausgabe der Kleinen Zeitung). Vier Personen waren Augenzeugen des Vorfalls, zwei schritten ein und trennten Pilz von der jungen Frau. In der anderen Causa, die eine ehemalige Mitarbeiterin des einstigen  Grünabgeordneten betrifft, gibt es keine Augenzeugen.

3. Cui Bono? Wem nutzt die Affäre? Wer steckt politisch dahinter? Der Reihe nach: Den Ball brachten die Enthüllungen in „Presse“ und „Profil“ ins Rollen. Offenbar besaß auch der "Falter" Unterlagen, wonach Pilz seine einstige Mitarbeiterin sexuell belästigt haben soll. Rund 40 einzelne Anschuldigungen sollen im Detail bei der Gleichbehandlungskommission dokumentiert sein.

4. Wer wusste von den Vorwürfen? Nach Recherchen der Kleinen Zeitung wussten zehn bis 15 Personen davon.  Peter Pilz weihte die einstigen grünen Mitstreiter Daniela Musiol, Harald Walser, Bruno Rossmann, Wolfgang Zinggl und seinen Anwalt Alfred Noll in die Vorwürfe, die aus dem Jahr 2015 stammen, ein, Kenntnis davon hatte auch die Grüne Klubführung. Da aber das Opfer alles unter Verschluss halten wollte, weil sie Angst hatte, dass ihre Identität preisgegeben wird und ihr Name an die Öffentlichkeit dringt, wurde strengstes Stillschweigen vereinbart. Bis vor wenigen Tagen blieb denn auch alles unter Verschluss.

5. Wer könnte die Enthüllungen an die Medien weitergespielt haben? Zwei Theorien machen in politischen Zirkeln die Runde. Entweder stecken ehemalige Vertreter der Bundesgrünen dahinter, die sich an Pilz für den Verlust ihres Arbeitsplatzes rächen wollen. Gut 20 Abgeordnete und rund 100 Mitarbeiter müssen sich ab kommenden Donnerstag nach einer neuen Tätigkeit umsehen, während Pilz & Co. für weitere fünf Jahre als Abgeordnete „pragmatisiert“ bleiben. Zweite, nicht ganz unplausible Theorie: Es sind die Wiener Grünen, die nach der Pilz'schen Ankündigung, bei den Landtagswahlen im Jahr 2020 antreten zu wollen, in Alarmstimmung versetzt wurden. Sein allerbestes Ergebnis erzielte Pilz in den grünen Hochburgen zwischen Ring und Gürtel (Mariahilf, Neubau, Josefstadt, Alsergrund).

6. Was bedeutet der Rücktritt für die Bewegung von Peter Pilz? Das ist keine mittlere Katastrophe, das ist ein politischer Super-Gau. Vier Tage vor der Konstitutierung des neuen Nationalrats steht die Pilz-Bewegung ohne Chef, ohne Kopf, ohne Führungsfigur, ohne Guru da. Die Angelegenheit erinnert unweigerlich an die Selbstauflösung des Team Stronach, die Liste Pilz hat womöglich eine kürzere Halbwertszeit. So wie beim Team Stronach ist der Liste Pilz die einigende Klammer abhandengekommen.

7. Wie geht es mit der Bewegung weiter? Das ist völlig unklar. Zunächst muss einmal geklärt werden, wer die Gruppierung als Klubobmann oder Klubobfrau im Parlament anführt. Auch wird man um eine Umbenennung der Bewegung nicht umhinkommen. Bei Stronach wurden bald Zentrifugalkräfte frei, nach nicht einmal zwei Jahren desertierten die ersten zwei Mandatare und wechselten zur ÖVP, bald darauf folgten andere, darunter Kathrin Nachbaur. Dass von den acht Pilzköpfen jemand zur ÖVP wechselt, ist höchst unwahrscheinlich. Vorstellbar wäre, dass der eine oder andere zur SPÖ, allenfalls zu den Neos wechselt. Aber das alles wird nun zu spekulativ.

8. Was bedeutet es für die politische Landschaft? Ohne den anderen Abgeordneten der Bewegung nahetreten zu wollen: Mit einem Schlag sind 223.544 Stimmen, 4,41 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen, acht Mandate perdü. Von drei Parteien, die das Zeug für eine kraftvolle Opposition gehabt und unterschiedliche Wählergruppen abgedeckt hätten, sind zwei übrig geblieben: die SPÖ und die Neos. ÖVP und FPÖ dürften jubeln, fällt doch mit Peter Pilz ein wortgewaltiger, gefürchteter Oppositionsredner weg. Nun haben sie es nur noch mit zwei Oppositionsparteien, von denen eine (die SPÖ) in einer schweren Identitätskrise steckt, zu tun.

9. Was wäre wenn? Was wäre, wenn die Vorwürfe vor der Wahl publik geworden wären? Den Grünen fehlten zum Schluss mehr als 10.000 Stimmen für den Verbleib im Parlament, laut ORF-Wählerstromanalyse saugte Pilz rund 70.000 Stimmen von seiner alten Partei ab. Ohne Pilz hätten die Grünen den Wiedereinzug geschafft. SPÖ und Grüne verloren je nur 30.000 an Pilz. Ja, die SPÖ wäre näher an die ÖVP herangekommen, höchstens um 0,7 Prozent (in einer früheren Version habe ich fälschlicherweise von 0,2 Prozent geschrieben) – bei einem Abstand von fast fünf Prozent hätte das keinen großen Unterschied gemacht.

10. Ist der Pilz-Rücktritt nur die Spitze des Eisbergs? Wenn man die Parteien durchtelefoniert, dann sieht es ganz danach aus. Aber das gilt wahrscheinlich auch für viele Unternehmen und Einrichtungen des Landes. Ob in den nächsten Wochen und Monaten tatsächlich viele neuen Enthüllungen ans Tageslicht gelangen, ist nicht sicher. Gerade die Causa Pilz zeigt, dass die hauptbetroffenen Frauen im Regelfall kein Interesse haben, dass die Fälle an die große Glocke gehängt werden, vielmehr sind sie an einer internen Klärung oder einer Mediation durch Dritte (etwa mit der Gleichbehandlungskommission) interessiert.