Vor der in den USA sich zuspitzenden Spaltung des Landes ist nach Einschätzung von Experten auch Europa nicht gefeit. "Trump ist noch immer hier, und der Trumpismus ist auch hier, um zu bleiben", sagte Steven Blockmans vom Brüsseler Thinktank "Centre for European Policy Studies" am Mittwoch bei einer Online-Diskussion.

"Was auch immer der Ausgang der US-Wahl 2020 ist, es wird die Polarisierung vertiefen und Populisten darin bestärken zu glauben, dass sie unter allen Umständen gewinnen können", so der Polit-Analyst. Die USA würden nur sehr schwer zu Stabilität und Vorhersehbarkeit zurückzufinden, "weil die Spaltung zwischen den Stämmen so tief und feindselig geworden ist, dass es enormer Anstrengungen zur Aussöhnung bedarf". Doch treffe dieser Trend auch auf einige europäische Staaten zu, "ob es nun Brexit-Britannien oder die immer stärker undemokratischen und korrupten Regierungen von Ungarn, Polen, Bulgarien und Malta sind", so Blockmans.

Als Beispiel verweist der CEPS-Forschungsdirektor auf die vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban entwickelte Doktrin einer "illiberalen Demokratie", die Orban als "Rebellion gegen eine liberale, intellektuelle Unterdrückung" bereits in Vorbereitung der nächsten ungarischen Wahlen 2022 entwickelt habe. Als weiteres Beispiel der Spaltung nannte Blockmans die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen, gegen das aktuell polnische Frauen massiv protestierten.

Zynische Spitzenpolitiker

Die Kopenhagener Politikwissenschaftlerin Marlene Wind hat zu diesen Phänomenen unlängst ein Buch unter dem Titel "The Tribalisation of Europe" (Die Tribalisierung Europas) verfasst. Zentral sei die mit Trump aus den USA kommende Idee, eine "Politik der Identität" gegen andere zu machen, wo Menschen gegen Eliten aufgehetzt würden. "Wir sehen in der westlichen Welt weit verbreitet diese Idee des 'Amerika zuerst', 'Großbritannien zuerst', 'Ungarn zuerst', ja sogar 'Dänemark zuerst'", so die dänische Politologin.

Vor allem Trumps Sieg bei der US-Wahl 2016 und das britische Brexit-Referendum im selben Jahr seien wie "eine Explosion der Politik der Identität" gewesen und hätten "der Tribalisierung einen gewaltigen Auftrieb" gegeben, sagte Wind. Europa habe sich bisher seit dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach dem Fall der Berliner Mauer eigentlich auf die Versöhnung, den Aufbau gemeinsamer Institutionen und das Engagement für eine bessere Welt konzentriert, "und ganz plötzlich haben wir zynische Spitzenpolitiker".

Die "Tribalisierung" sei eine Strategie zynischer und manipulativer Politiker geworden, so Wind. Sie solle so aussehen, als ob "eine Revolte von unten" stattfinde, doch diene die "Politik der Identität" den Populisten vielmehr dazu, um an die Macht zu kommen und dort zu verbleiben.

"In der heutigen Welt sterben Demokratien nicht mehr durch Staatsstreichs oder durch Panzer auf den Straßen", resümierte die dänische Politologin. Viel verbreiteter sei die Manipulation, das Infragestellen der Demokratie und das Aufhetzen der Bevölkerung gegen Institutionen geworden, mit denen sich die Menschen nicht mehr identifizieren würden. In Ungarn und Polen etwa gebe es Beispiele von Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen oder das Einrichten spezieller Tribunale für liberale Richter.

Erstaunlich seien das Schweigen und die Unfähigkeit der Liberalen und der Institutionen, ihre Werte zu verteidigen, sagte Wind. "Wir sehen wirklich eine Transformation der Demokratie", so die Politikwissenschafterin. "Wir fangen an zu relativieren, was Demokratie ist."