Pro: Frank-Ulrich Montgomery

Impfen ist die wichtigste und wohl erfolgreichste Präventionsmaßnahme der Medizin. Millionen von Leben wurden durch Impfungen gerettet. Die Pocken sind dank Impfung von der Welt verschwunden, die Kinderlähmung steht kurz davor. Dabei schützt Impfen doppelt: zum einen das Individuum, den Geimpften, zum anderen aber auch die Gesellschaft – uns alle – durch Herdenimmunität. Und das ist bei Corona für mich das Entscheidende.

Es gibt „Kinder“-Krankheiten, die zwar lästig, aber nicht immer tödlich sind. Dagegen sollte man impfen, muss aber nicht unbedingt. Es gibt Berufskrankheiten wie Hepatitis B bei medizinischem Personal, dagegen kann man sich theoretisch schützen; man sollte impfen, muss aber nicht. Und wer in bestimmte tropische Gebiete reist, sollte sich impfen lassen; aber alle, die hierbleiben, brauchen das nicht. Und es gibt hochgefährliche Krankheiten, wie Masern und Corona, gegen die kann man sich nicht lebenslang sicher schützen – und deswegen sollte man hier impfen.

Was hat es nun mit der Herdenimmunität auf sich? Leider gibt es auch bei den sichersten und besten Impfungen Menschen, die man nicht impfen kann – weil sie zu krank sind oder ein anderer, harter medizinischer Grund vorliegt (Kontraindikation). Und es gibt leider immer wieder auch „Non-Responder“, die nicht mit Immunität auf die Impfung reagieren. Diese Menschen können wir vor tödlicher Krankheit schützen, wenn wir alle Immunität entwickeln. Sind wir alle immun, dann wirken wir wie ein Cordon sanitaire – ein Sicherheitswall – rund um die, die man nicht schützen kann. Weil um den potenziell Gefährdeten praktisch nur Immune sind, kann das Virus ihn nicht erreichen. Das ist Herdenimmunität.

Natürlich müssen vor der Impfpflicht ein paar wichtige Grundsätze erfüllt sein.

Die Krankheit muss tödlich sein – wer bezweifelt das bei Corona angesichts der Särge in Frankreich, Italien, USA etc.? Es muss einen sicheren und wirkungsvollen Impfstoff geben – das ist bisher nicht der Fall. Wir sollten uns aber darauf vorbereiten, dass es ihn bald gibt, und nicht dann erst mit der Debatte beginnen.

Aber im Kern gibt es noch eine andere Debatte hinter der Impfpflicht: Wir wollen freie Entscheidungen zu unserem Wohl – das ist auch gut so. Aber wir vergessen manchmal unsere Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Frage nicht immer, was dein Land für dich tun kann, frage dich, was du für dein Land tun kannst. Aufs Impfen übertragen: Denk nicht nur an dich selbst beim Impfen, sondern auch an deine Umgebung!

Kontra: Rudolf Anschober

Schutzimpfungen gehören zur wirksamsten Vorsorge gegen Infektionskrankheiten. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen steht dem Schutz vor Krankheit des Individuums und der Gesellschaft gegenüber. Daher können Impfempfehlungen nicht allein auf Basis wissenschaftlicher Evidenz getroffen werden. Wir werden alle möglichen Maßnahmen, die zu einer hohen Durchimpfungsrate beitragen können, mit den Beteiligten diskutieren.

Der elektronische Impfpass, der noch heuer als Pilotversuch startet, wird helfen, einen Überblick über Impfstatus und allenfalls notwendige Auffrischungen zu haben. Wir alle warten ungeduldig auf eine Covid-Impfung, um die Einschränkungen unseres Lebens zur Viruseindämmung nicht mehr zu brauchen. Aus meiner Sicht wäre es daher widersinnig, anzunehmen, dass bei Verfügbarkeit der Impfung niemand hingeht.

Sinkende Durchimpfungsraten können zu einer Wiederkehr von Infektionskrankheiten führen (z. B. Polio). Ich erinnere an den Fall an der Grazer Kinderklinik, wo ein Patient im Wartezimmer mehr als ein Dutzend anderer angesteckt hat.

Dennoch ist ein Impfzwang für mich nicht das Mittel der Wahl. Eine Impfung ist immer ein medizinischer Eingriff. Die Durchführung medizinischer Behandlungen ohne oder gegen den Willen der Kranken stellt einen Eingriff in das Recht auf Privatleben dar. Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgt dieses Recht, das in Österreich im Verfassungsrang steht.

Dazu kommt: Es gibt in Österreich eine relevante Gruppe, die die meisten Impfungen vehement ablehnt. Es kann doch nicht Aufgabe des Staates sein, hier Zwangsmittel anzuwenden. Denn es wird dann immer eine relevante Anzahl von Menschen geben, die diese nicht zulassen.

Aufgabe der Politik ist es, die für diese Entscheidung notwendigen Informationen bereitzustellen: Wirkungen und Nebenwirkungen müssen klar dargestellt werden. Ich möchte dies zu einem zentralen Schwerpunkt der Gesundheitspolitik im Herbst machen.

Ein anderes Thema sind Impfungen für Menschen, die im Gesundheits- und Pflegebereich tätig sind: Hier sind vulnerable Gruppen bestmöglich zu schützen. Daher ist es für mich nachvollziehbar, dass vielfach eine Bestätigung einer Impfung zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit eingefordert wird.

Meine Erwartung und Hoffnung für die nächsten Jahre sind, dass die Krise so viel Bewusstsein schafft, dass immer mehr Menschen Interesse an Informationen haben und sich nach einer ehrlichen Abwägung für eine Impfung entscheiden.