Georgia lässt Donald Trump keine Ruhe. Am Samstag greift er zum Hörer. Einen Tag später geht ein Mitschnitt eines Telefonats um die Welt, in dem der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten den obersten Wahlaufseher in dem südlichen Bundesstaat auffordert, seine dortige Wahlniederlage gegen den Demokraten Joe Biden ungeschehen zu machen.

In diesem seltsamen Telefonat hat der 74-Jährige auf eine nachträgliche Änderung des Ergebnisses im Bundesstaat Georgia gedrungen. Darin hat Trump den für die Durchführung der Wahl verantwortlichen Staatssekretär Brad Raffensperger unverblümt aufgefordert, genügend Stimmen für ihn "zu finden" und das Ergebnis "nachzuberechnen", wie die Washington Post und andere US-Medien berichteten.

Die „Washington Post“ hat auf die Vorwürfe von David Shafer reagiert, dem Vorsitzenden der Republikaner im US-Bundesstaat Georgia, und die gesamte Tonbandaufnahme des Telefonats zwischen Donald Trump und Brad Raffensperger veröffentlicht.

In dem einstündigen Telefonat ist Donald Trump zu hören, wie er eine ganze Reihe an unterschiedlichen und unbewiesenen Verschwörungstheorien rund um die US-Wahl zur Sprache bringt, darunter Theorien, die Trump offenbar direkt von QAnon-Verschwörungsseiten übernommen hat. Andere hatte Trump offensichtlich bei rechtsextremen Nachrichtenseiten wie „One America News Network“ und „Newsmax“ aufgeschnappt, namentlich die Theorie, der Wahlmaschinenhersteller „Dominion“ habe die US-Wahl für Joe Biden manipuliert.

Trump drohte Raffensperger in dem Telefonat, dass dieser ein „großes Risiko“ eingehe und sich womöglich einer Straftat schuldig mache, wenn er nicht gegen den Wahlbetrug vorgehe. Der amtierende Präsident hatte Georgia bei der Wahl vom 3. November sehr knapp verloren. Der Demokrat Joe Biden lag dort mit etwa 12.000 Stimmen vorne. Die Ergebnisse wurden dort zweimal nachgezählt. Das Endergebnis änderte sich dadurch nur geringfügig, es gab keine Hinweise auf Wahlbetrug.

In dem Telefonat klagte Donald Trump über das „falsche“ Ergebnis in Georgia und beteuerte, er habe die US-Wahl gewonnen. „Ich will nur 11.780 Stimmen finden...weil wir den Bundesstaat gewonnen haben“, sagte er dem Mitschnitt zufolge

Erpressungsversuch?

Trumps als Erpressungsversuch kritisierte Aktion richtet ein weiteres Schlaglicht auf Georgia, den sogenannten Pfirsich-Staat, wo am Dienstag zwei Stichwahlen über Bidens Gestaltungsmacht als Präsident entscheiden.

Die Hände gefaltet, der Blick auf den Boden gerichtet - das Wahlkampfevent in der Stadt des Pfirsichbaums, Peachtree City, beginnt mit einem Gebet. Um die 60 Leute haben sich am regionalen Flughafen versammelt, um Kelly Loeffler zu sehen, die wie David Perdue ihren Sitz im mächtigen US-Senat gegen die demokratischen Kandidaten Jon Ossoff und Raphael Warnock verteidigen will. "Vater, wir danken Dir für Anführer wie Senatorin Loeffler und Senator Perdue, die Dir vertrauen und Dich anhören." Wenige Meter entfernt starten und landen kleine, aber laute Maschinen.

Die 50-jährige Geschäftsfrau Loeffler nennt ihren direkten Kontrahenten Raphael Warnock (51) selten nur bei seinem Namen. Für sie ist der schwarze Pastor aus der Baptistengemeinde des Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr. der "radikale, liberale Raphael Warnock". Immer wieder spricht sie diesen Zungenbrecher aus. "Wir sind buchstäblich die Brandmauer, um den Sozialismus zu stoppen", sagt Loeffler. Wie Trump stilisieren sich Perdue (71) und Loeffler zu politischen Außenseitern. Der Demokrat Warnock wirft der Millionärin vor, ihr Amt im Senat genutzt zu haben, um sich weiter zu bereichern - und im Wahlkampf vor allem damit beschäftigt gewesen zu sein, ihn zu "verleumden".

Wahltag

"Ich weiß nicht viel über sie, aber sie ist konservativ", sagt Lisa Shadle, die sich Loeffler mit ihrem Mann David und ihren Kindern anhört. Sie blicken dem Wahltag sorgenvoll entgegen: Die Vorstellung ängstigt sie, dass sich die demokratischen Kandidaten durchsetzen könnten. Das würde Bidens Demokraten die Mehrheit in beiden Parlamentskammern in Washington geben - und dem künftigen Präsidenten entscheidende Unterstützung bei der Umsetzung seiner Vorhaben und der Ernennung von Regierungsmitgliedern. "Unser Land wird den Bach runtergehen, wenn die Demokraten gewinnen", sagt die pensionierte Militärangehörige Cele Eifert, die sich noch nicht mit Trumps Niederlage abgefunden hat. "Das ist wie ein letztes Gefecht."

Keine zwei Stunden von Peachtree City entfernt dröhnt aus Lautsprechern "I like the way you move" vom Hip-Hop-Duo OutKast, als Demokrat Jon Ossoff vor das Rathaus in Athens tritt. Er beschreibt sich als "jungen, jüdischen Journalisten, Sohn eines Einwanderers", dessen Mentor der Bürgerrechtler John Lewis gewesen sei. Einige Hundert Leute stehen vor dem 33-Jährigen - er muss sie nicht mehr von sich überzeugen. Aus der Menge ragen Plakate mit seinem Konterfei und seinen Hauptversprechen: Gesundheit, Jobs, Gerechtigkeit.

Ossoff heizt seine Anhänger an, die wenigen verbleibenden Stunden zu nutzen, um andere potenzielle Wähler zu motivieren. Seinem Kontrahenten Perdue sind in den letzten Zügen des Wahlkampfs die Hände gebunden: Er ist wegen eines Corona-Kontakts in Quarantäne. "Wir müssen der Welt beweisen, für was Georgia steht", sagt Ossoff. "Georgia hat die Chance, das nächste Kapitel der amerikanischen Geschichte zu bestimmen. Georgia hat diese Macht, fühlt diese Macht!"

Jus-Student Frederick King und drei seiner Freunde sind sich der Bedeutung der Abstimmungen bewusst. Der 24-Jährige hat Verwandte in Deutschland - und es beeindrucke ihn, dass Georgia vielen auch dort plötzlich ein Begriff sei und international gar über einzelne Bezirke gesprochen werde. Die Wahl entscheide darüber, ob Biden "ein Gesetz nach dem nächsten" durchbringen oder von den Republikanern blockiert werde, sagt Christopher Summers. Er kommt ursprünglich aus South Carolina, wo den Republikanern der Sieg bei Wahlen traditionell sicher ist. "Es sind Staaten, in denen deine Stimme nicht viel bedeutet. Hier ist sie entscheidend", sagt Summers über Georgia.

In Umfragen deutet sich ein äußerst enges Rennen an. Eine Zusammenfassung jüngster Ergebnisse der Statistiker von "FiveThirtyEight" sieht einen hauchdünnen Vorteil für die demokratischen Kandidaten Ossoff und Warnock. Mehr als drei Millionen Menschen haben in Georgia ihre Stimme bereits vor dem eigentlichen Wahltag abgegeben.

Beide Lager wollen noch so viele Wahlberechtigte wie möglich mobilisieren, weshalb sich am Montag auch Biden und Trump auf den Weg nach Georgia machen wollen. Abseits der Bühnen gehen die Anstrengungen ebenfalls bis zuletzt weiter. Für Marilyn Wilbur ist es wie ein Militäreinsatz, bei dem sie die Demokratie verteidigt. Die Kriegsveteranin machte sich Ende November mit zahlreichen anderen Freiwilligen für die Gewerkschaft "Unite Here" auf den Weg nach Georgia, um ihre Erfahrungen aus ihrem Heimatstaat Arizona vor der Präsidentenwahl zu nutzen. In Arizona hatten wie in Georgia jahrelang republikanische Präsidentschaftskandidaten gewonnen - 2020 siegte Biden über Trump. Die Freiwilligen von "Unite Here" sehen das auch als ihren Verdienst.

"Mom, ich dachte, Du hast die Welt schon gerettet!", habe Wilburs Sohn gesagt, als es für sie darum ging, für die folgenschweren Stichwahlen nach Georgia aufzubrechen. Sie habe dem 17-jährigen Autisten erklärt, dass sie es noch mal tun müsse, wenn in Arizona nicht alles umsonst gewesen sein soll. Bis Dienstagabend wollen Wilbur und die mehr als 300 anderen Stimmenwerber an insgesamt 450.000 Türen geklopft haben. "Ich muss diese Mission beenden", sagt Wilbur. "Es wird funktionieren."