Am 95. Tag im Grasser-Prozess gab es zu Beginn gleich zwei Premieren: Erstmals wurde ein Zeuge via Videoschaltung im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts befragt, wodurch auch die Sitzordnung geändert wurde - zur Zufriedenheit der Verteidiger der Angeklagten, die bis dato an jedem Prozesstag ihre Platzierung im Gericht moniert hatten.

Die meisten Verteidiger störten sich bisher daran, dass sie niedriger saßen als die Staatsanwälte. Des weiteren befürchteten sie, dass die vier Reihen hinter ihnen sitzenden Journalisten auf ihre Unterlagen blicken könnten. Dass dieses Problem lösbar wäre, wie die heutige Sitzordnung zeige, betone zu Prozessbeginn Grasser-Anwalt Norbert Wess - obwohl er noch immer die "mangelnde Rückendeckung" monierte.

Replik von Richterin Marion Hohenecker: Es sind heute auch deutlich weniger Angeklagte und Verteidiger anwesend, da die mitangeklagte Causa Terminal Tower heute nicht behandelt wird. Heute, Mittwoch, geht es einmal mehr um den Korruptionsverdacht bei der Privatisierung der Bundeswohnungen (u.a. Buwog) unter dem damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ/ÖVP).

Ex-Lehman-Mitarbeiter wird befragt

Befragt wird ein früherer Mitarbeiter der - mittlerweile zusammengebrochenen - US-Investmentbank Lehman Brothers, der damals den Verkaufsprozess organisiert und begleitet hatte. Er ist der einzige Zeuge für den ganzen Tag. Er schilderte, dass im Sommer 2003 versucht wurde, dem Land Kärnten bereits vor dem Bieterprozess einen Teil der Bundeswohnungen, die Kärntner Eisenbahnerwohnungen (ESG) anzubieten. Kärnten habe aber nicht gekauft, weil für das Land der von Lehman festgesetzte Preis von 120 Mio. Euro für die ESG schlicht zu teuer gewesen wäre.

Das Vorkaufsrecht für die ESG hatte Grasser mit dem damaligen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider vereinbart. Es spielt im Prozess eine wichtige Rolle, weil dessen Ausnutzung - oder eben Nicht-Nutzung - entscheidend war, wer letztendlich den Zuschlag bei der Privatisierung bekam. Siegreich war ein Konsortium rund um die Immofinanz und die RLB Oberösterreich, unterlegen ist die CA Immo.

Der heutige Zeuge führte mehrmals aus welche wichtige Rolle Grassers damaliger Kabinettchefs Heinrich Traumüller spielte, der morgen zum wiederholten Mal als Zeuge geladen ist. Er hatte bei seinen früheren Zeugenauftritten betont, dass er keinerlei Anhaltspunkte dafür hat, dass die Privatisierung nicht korrekt abgelaufen ist. Er habe während der ganzen Privatisierung keinerlei Manipulationen und keine Tatpläne oder ungesetzliches Vorgehen wahrgenommen - "das ist mir wichtig", sagte er Anfang März.

Traumüller sei sehr korrekt

Der heutige Zeuge beschrieb Traumüller als sehr korrekte und engagierte Person, die in alle Bereiche der Buwog-Privatisierung eingebunden war. Soweit er sich erinnern könne war Traumüller auch jener, der meinte, dass das Vorkaufsrecht Kärntens für die ESG politisch gewollt sei - denn eine rechtliche Grundlage dafür gab es nicht, ein entsprechender Notariatsakt fehlte. Ein Vorkaufsrecht sei "tendenziell wertmindernd", sagte der Zeuge. Denn der Bieter habe Aufwand für die Prüfung und Bewertung, und komme dann vielleicht gar nicht zum Zug, weil das Objekt vorher dem Vorkaufsberechtigten angeboten werden müsse - der dann auch zuschlagen kann.

Der Zeuge bestätigte auch, dass man damals sogar Rücksicht auf die Kärntner Landespolitik genommen hatte. Denn vor den Kärntner Landtagswahlen im März 2004 war eine "Quiet Period", eine mehrwöchige Stillhalteperiode, im Zeitplan des Verkaufsprozesses für die Bundeswohnungen vorgesehen. In der Zeit wollte man mit dem Privatisierungsprozess "möglichst wenig in der Presse aufschlagen", sagte der Zeuge.