Wenn man Durchschnittsamerikaner nach einer Person oder Sache fragt, die sie mit Österreich assoziieren, wird oft - neben Walzer, Mozart, Hitler und Schnitzel - die Alpenblume Edelweiß erwähnt. Das hat einen speziellen kulturellen Hintergrund. „Edelweiß, Edelweiß, segne mein Heimatland für immer“, singt Christopher Plummer als Nazi-trotzender George Ludwig von Trapp in einer berührenden Szene im US-Musicalfilm „The Sound of Music“ aus dem Jahre 1965.

Der Film, der nach „Krieg der Sterne“ und „Vom Winde verweht“ die meisten Amerikaner in die Kinos lockte und noch immer während der Weihnachtszeit im US-Fernsehen gezeigt wird, bestimmt seit Jahrzehnten das Österreich-Bild in den Vereinigten Staaten. So wird das Lied „Edelweiß“ von vielen Amerikanern als Österreichs Nationalhymne betrachtet.

Bindeglied zwischen Wien und Washington

Der Kinostreifen, der vor und während des sogenannten „Anschlusses“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich spielt, ist das Prisma, durch das das offizielle Amerika die österreichische Politik und das gesamte Land seit Jahrzehnten sieht. Es ist das Bindeglied zwischen Wien und Washington: eine Nation im ewigen Clinch mit seiner Nazivergangenheit, in der rechtsextreme Kräfte immer nur einen Schritt von einer neuerlichen Machtergreifung entfernt sind.

Jüngere Ereignisse in der Geschichte der Zweiten Republik wie die Waldheim-Affäre und das 1987 von den USA verhängte Einreiseverbot für den „mutmaßlichen Kriegsverbrecher“ bestätigen augenscheinlich diese These. Dass bei einer Vorstellung der Dokumentation „Waldheims Walzer“ in Manhattan im Oktober 2018 die Aussage der Regisseurin, Kurt Waldheim könne als Prototyp für die Lügenpolitik Donald Trumps angesehen werden, unter dem liberalen US-Publikum einen erstaunlichen Zuspruch fand, erscheint unter diesen Voraussetzungen verständlicher.

Anti-Establishment-Bewegung

Das Interesse an Sebastian Kurz, der in der kommenden Woche im Weißen Haus bei US-Präsident Donald Trump zu Gast sein wird, ist, abseits von tagespolitischen Themen, zu denen sich beide Regierungschefs austauschen werden, ebenfalls auf Österreichs autoritäre Vergangenheit zurückzuführen. Einige Berater Trumps sehen in Sebastian Kurz eine elegantere und jüngere Version Viktor Orbáns, dem Vorreiter einer neuen rechten Anti-Establishment-Bewegung, die für Grenzen und gegen die Globalisierung auftreten soll.

Das Interesse US-amerikanischer Kommentatoren am Kanzler ist allerdings überwiegend auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ zurückzuführen. Sie wird in den Medien der Vereinigten Staaten wie auch in privaten Gesprächen mit Politikern als rechtsextrem und neonazistisch bezeichnet. Es überrascht daher kaum, dass es Kurz auf das Cover des renommierten „Time Magazine“ geschafft hat, das in den vergangenen Jahrzehnten - mit Ausnahme von Arnold Schwarzenegger - nur Politiker porträtierte, die mit der Nazivergangenheit Österreichs in Verbindung gebracht werden. Neben Waldheim waren das Jörg Haider, Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer.

Lipizzaner am Rasen des Weißen Hauses 

Auf den Zweiten Weltkrieg und indirekt auf die Nazidiktatur ist auch der bemerkenswerteste Besuch aus Wien im Weißen Haus zurückzuführen. Im November 1982 übergab der damalige Präsident der Wirtschaftskammer, Rudolf Sallinger, dem als Pferdenarr bekannten US-Präsidenten Ronald Reagan auf dem Rasen des Weißen Hauses einen Lipizzaner. Das Geschenk, eingefädelt vom späteren Bundespräsidenten Thomas Klestil, war ein Dank an die US-Armee, die sich in den Wirren des Kriegsendes 1945 um den Schutz der Lipizzaner bemühte. Reagan war entzückt.

Doch die Freude währte nur kurz. Im gleichen Jahr noch erhob die US-Administration schwere Vorwürfe gegen österreichische Unternehmen, diese würden einen illegalen Technologietransfer in die Warschauer-Pakt-Staaten durchführen. Kanzler Bruno Kreisky bestritt damals die Anschuldigungen und verwies auf die Neutralität Österreichs im Kalten Krieg. Doch die Beweislage war erdrückend.
Neben der Nazivergangenheit ist die Neutralitätsdoktrin - zumindest unter Spitzenbeamten und Politikern - das zweite identitätsstiftende Merkmal Österreichs in den USA. Als Nicht-Nato-Mitglied wird einem leichter verziehen, wenn man sich gegen US-Politik ausspricht. Wien wird als diskreter Mittelsmann zwischen dem Iran und den USA geschätzt. Der ehemalige US-Außenminister John Kerry war von der Professionalität österreichischer Diplomaten während der Iran-Gespräche in Wien angetan.

Wien als Spionagezentrum 

Die Stadt ist noch immer eines der wichtigsten Spionagezentren der USA in Europa. Gleichzeitig löst die Nähe Österreichs zu Russland und Wladimir Putin vermehrt Unverständnis aus. Das Bild des symbolischen Kniefalls von Außenministerin Karin Kneissl vor dem Kreml-Chef hat sich in die Köpfe vieler Meinungsmacher in Washington eingebrannt.

Wolfgang Schüssel war der bislang letzte Kanzler, der im Weißen Haus einen amtierenden Präsidenten traf. Laut dem US-Spitzenbeamten Cameron Munter, der während des Gesprächs mit George W. Bush im Dezember 2005 anwesend war, traf der Kanzler bestens vorbereitet auf den mächtigsten Mann der Welt. Dies galt insbesondere bei politischen Fragen zum Nahen Osten. Schüssel regierte - ebenso wie heute Kurz - mit Unterstützung der Freiheitlichen. Die USA weigerten sich 2000, die wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ verhängten Sanktionen in der EU mitzutragen. „Man wollte alle Gesprächskanäle offenhalten,“ sagt Munter. Insgeheim wollte man Österreich damals dazu bewegen, sich militärisch stärker in Afghanistan und auf dem Balkan einzubringen. Dass Europa mehr für die eigene Verteidigung tun muss, ist nach wie vor ein großes Anliegen der USA und könnte auch Teil des Gesprächs am Mittwoch sein.

Munter kann sich nicht mehr erinnern, mit welchem Geschenk Schüssel Bush während seines Besuches überraschte. Bundespräsident Alexander Van der Bellen jedenfalls überreichte Trump beim Treffen im September 2017, nach Auskunft eines Beamten im Nationalen Sicherheitsrat, eine Flasche Schnaps. Ein Fauxpas, denn der US-Präsident trinkt keinen Alkohol. Die Flasche steht nun im Haus des Beamten in Washington und wurde dem Autor dieses Textes angeboten, der jedoch dankend ablehnte.

Für den Besuch am 20. Februar im Weißen Haus dürften daher ein Soundtrack zu „Sound of Music“ sowie eine getrocknete Edelweißblume das weitaus passendere Gastgeschenk sein.