Die Zahl der Toten bei der jüngsten Protestwelle gegen Venezuelas Präsidenten Nicolas Maduro hat sich nach Angaben von Aktivisten deutlich erhöht. Seit Montag seien 26 Menschen getötet worden, teilte die Beobachtungsstelle für soziale Konflikte (OVCS)am Donnerstag mit. Zuvor hatte die Nichtregierungsorganisation (NGO) von 16 Toten gesprochen.

Nachdem die USA die Selbst-Proklamation des Oppositionspolitikers Juan Guaidó zum Präsidenten anerkannt hatten, kündigte Maduro die Schließung aller diplomatischen Vertretungen in den USA an. Er stimme zudem mit Mexiko und Uruguays Forderung nach einem Dialog zwischen der Regierung Venezuelas und der Opposition überein, um eine Lösung für die politische Krise zu finden, sagte Maduro.

Konflikt zwischen USA und Russland

Die Staatskrise in Venezuela droht zu einem neuen Konflikt zwischen den USA und Russland zu werden. Das russische Außenministerium warnte US-Präsident Donald Trump vor einer Militärintervention. Ein solcher Schritt würde ein katastrophales Szenario auslösen, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax den stellvertretenden Außenminister Sergej Rjabkow. China rief zur Zurückhaltung auf.

Venezuela sei ein strategischer Partner Russlands, hieß es aus Moskau. "Wir haben sie unterstützt, und wir werden sie unterstützen." In dem ölreichen, aber verarmten Land tobt ein Machtkampf, nachdem sich Oppositionsführer Juan Guaido zum neuen Präsidenten ernannt hat und umgehend von Trump als solcher anerkannt wurde. Der bisherige Präsident Nicolas Maduro hält an seinem Amt fest und wird dabei vom Militär unterstützt.

Russland steht an der Seite Manduros

Rjabkow sagte, Russland werde an der Seite des südamerikanischen Staates stehen, um dessen Souveränität zu verteidigen. Die USA dürften sich nicht in die inneren Angelegenheiten Venezuelas einmischen. Russland hat Venezuela Milliardensummen geliehen und auch dem Militär Unterstützung zukommen lassen. Im Dezember landeten zwei russische Bomber in Venezuela, die Atomwaffen transportieren können, was auf scharfe Kritik der US-Regierung stieß.

China mahnt zur Zurückhaltung und warnt besonders die USA vor einer Einmischung: Außenamtssprecherin Hua Chunying sagte vor der Presse in Peking, die USA und Venezuela sollten ihre Beziehungen auf der Grundlage des Respekts und des Grundsatzes der Nicht-Einmischung pflegen. "Ich möchte unterstreichen, dass Sanktionen oder Einmischung die Lage häufig noch komplizierter machen und nicht helfen, praktische Probleme zu lösen", sagte Hua Chunying.

Oppositionsführer Guaido hatte sich am Mittwoch vor Hunderttausenden Anhängern in Caracas zum Präsidenten des wirtschaftlich kollabierenden Landes erklärt. Unterstützung erhielt er von den USA, die den 35-Jährigen umgehend als legitimen Präsidenten anerkannten. Alle Optionen seien auf dem Tisch, sagte Präsident Trump auf die Frage nach einem US-Militäreinsatz in Venezuela.

Landesweite Demonstrationen

Landesweit gab es Demonstrationen gegen Maduro, den seine Gegner für die schwere Versorgungskrise in dem erdölreichen OPEC-Staat verantwortlich machen. Maduro hatte vor zwei Wochen nach seiner von Manipulationsvorwürfen begleiteten Wiederwahl eine zweite Amtszeit angetreten. Das venezolanische Militär erkennt Guaido nach Angaben von Verteidigungsminister Vladimir Padrino nicht als Präsidenten an. Die Einheiten würden die Verfassung verteidigen und die nationale Souveränität garantieren.

Die Europäische Union erklärte, der demokratische Wille des venezolanischen Volkes "kann nicht ignoriert werden". Die Bevölkerung habe das Recht, friedlich zu demonstrieren und seine Regierung frei zu wählen. Bürgerrechte, Freiheit und Sicherheit von Guaido müssten respektiert werden. Kanada und mehrere rechtsregierte lateinamerikanische Länder wie Venezuelas Nachbarstaaten Brasilien und Kolumbien gaben ähnliche Erklärungen wie die USA heraus. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärt auf Twitter, er zolle den Hunderttausenden Venezolanern Respekt, die für Freiheit auf die Straße gegangen seien. Die EU habe die Demokratie in Venezuela seit Maduros "illegaler Wahl" unterstützt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versicherte dagegen Maduro in einem Telefonat seine Unterstützung. "Mein Bruder Maduro! Bleibe standhaft, wir stehen zu euch", sagte Erdogan nach Angaben eines Sprechers des türkischen Präsidialamtes. Auch der Iran steht weiter hinter Maduro. "Der Iran unterstützt die Regierung und das Volk Venezuelas gegen illegitime und illegale Aktionen wie Putschversuche und ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes", sagte Außenamtssprecher Bahram Ghassemi. Teheran pflegt seit Jahren enge Beziehungen zu Venezuela und Präsident Maduro.

US-Außenminister Pompeo rief Maduro dagegen zum Rücktritt auf. "Das venezolanische Volk hat lange genug unter der furchtbaren Diktatur von Nicolas Maduro gelitten", sagte Pompeo. Trump erklärte, die USA setzen sich dafür ein, dass Venezuela wieder zu einer Demokratie werde. Regierungskreisen zufolge erwägen die USA weitere Sanktionen, die den Ölsektor Venezuelas treffen und noch in dieser Woche in Kraft treten könnten.

Experte: Militär ist gespalten

Venezolanische Experten sehen die Lage in dem südamerikanischen Land nach der Selbernennung des Parlamentschefs Guaido zum Interimspräsidenten auf Messers Schneide. "Sicher ist: Das Militär im Land ist gespalten", sagte der ehemalige Handels- und Industrieminister Moises Naim auf der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos.

Ein Teil der Streitkräfte sei "sehr, sehr unglücklich" mit der Lage im Land. "Allerdings steht das Militär unter straffer Kontrolle", ergänzte er. Ein wichtiger Faktor im Land sei der Einfluss Kubas. Venezuela drohe zum Spielball geopolitischer Konflikte zu werden.

"Wir müssen vorsichtig sein, Erwartungen zu schüren", sagte Naim. Es komme eine harte Zeit auf Venezuela zu, niemand wisse, was genau im Militär vor sich gehe. Guaido und seine Frau hätten per Videobotschaft an Soldaten erklärt, dass sich der Schritt des Parlamentschefs nicht gegen sie richte und sie unter der Situation nicht leiden sollten.

Guaido hatte dem sozialistischen Regierungschef Nicolas Maduro die Legitimation abgesprochen und sich selbst für eine Übergangszeit zum Staatschef erklärt. Venezuela steckt in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise und kann wegen Devisenmangels selbst Lebensmittel und Medikamente kaum noch importieren.

Die venezolanische Ökonomin Gabriela Saade sah einen klaren Unterschied zu früheren Protesten im Land. Diesmal stünden viele Länder, die Opposition und die Bevölkerung zusammen gegen Maduro.

Der Außenminister Ecuadors, Jose Valencia, wandte sich gegen eine von den USA ins Spiel gebrachte Militärintervention. "Wir glauben, dass ein militärisches Eingreifen größtenteils negative Auswirkungen haben würde", sagte er.