Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erteilte Nachverhandlungen am Brexit-Vertrag zwischen der EU und Großbritannien eine Absage. "Wir haben gesagt, dass es keine weitere Öffnung des Austrittsabkommens gibt", sagte Merkel nach ihrem Treffen mit der britischen Premierministerin Theresa May.

Dennoch gab sich Merkel demnach zuversichtlich, dass es eventuell doch eine Lösung geben könne. Auch britische Abgeordnete wollten mehrheitlich keinen Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU ohne Abkommen. Denn dies sei die schlechteste Lösung.

Das Netz amüsierte sich über ein Video von Sky News, das die Ankunft Mays in Berlin illustriert: Merkel wartete, um den Gast zu begrüßen, doch das dauerte: Erst nach mehreren Versuchen gelang es, die Hintertür des Mercedes zu öffnen, in dem May vorgefahren war.

Die Häme im Netz ließ nicht lange auf sich warten: "Wie soll sie uns aus der EU herausführen, wenn sie nicht einmal aus ihrem Auto aussteigen kann", spottete ein britischer User.

Knackpunkt Irland

Merkel bezeichnete als zentralen Knackpunkt  die Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, den sogenannten Backstop. Es gehe nun darum, ob Großbritannien mehr Sicherheit gegeben werden könne für den Fall, dass das Land länger in einer Zwischenphase stecke und wirtschaftspolitisch nicht handlungsfähig sei. Für diesen Fall suche May Unterstützung.

Konservative Brexit-Befürworter fürchten, dass die im Austrittsvertrag vorgesehene Lösung Großbritannien nach dem Brexit auf Dauer eng an die EU bindet. Sie wollen eine Befristung. Das hatte die EU aber stets abgelehnt mit der Begründung, eine Garantie könne nicht befristet sein.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schließt Brexit-Neuverhandlungen aus. "Der Deal, den wir erreicht haben, ist das Beste, was wir bieten können. Das ist der einzige Deal. Es gibt keinen Raum für Neuverhandlungen," so Juncker am Dienstag. Die britische Premierministerin Theresa May sucht indes nach der Verschiebung der entscheidenden Abstimmung in London nach Unterstützern in Europa.

Treffen mit Juncker

Juncker wird am Abend (ca. 19.15 Uhr) mit May in Brüssel zusammentreffen. Es gebe zwar keinen Raum für Nachverhandlungen, "aber natürlich kann der Raum intelligent genutzt werden, um weitere Klarheit zu schaffen", so der Kommissionspräsident. Zu den von britischer Seite angesprochenen "großen Problemen mit dem Backstop Irland" sagte Juncker, "das müssen wir vorbereiten, das ist notwendig für die gesamte Kohärenz dessen, was wir niedergeschrieben haben. Irland wird nie allein gelassen werden".

Ähnlich äußerten sich laut der Nachrichtenagentur AFP mehrere Europaabgeordnete. "Wir werden unsere irischen Freunde nicht im Stich lassen", versicherte der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt. Es habe nach mehr als zweieinhalb Jahren Verhandlungen eine Einigung gegeben betonte der Fraktionschef der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Politiker Manfred Weber. Nun gebe es einen neuen Versuch der britischen Regierung, den Vertrag nachzuverhandeln. "Wir spielen dieses Spiel nicht mit." Wer einen Club verlasse, verliere dessen Vorteile. "Diese Erfahrung machen nun die Briten."

Die "Backstop"-Klausel

Mit Backstop (auch "Notfallsklausel") werden die Bestimmungen im Austrittsabkommen bezeichnet, die garantieren sollen, dass es nach dem Austritt Großbritanniens keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland geben soll. Der Entwurf sieht vor, dass Großbritannien für diesen Fall als Ganzes in der EU-Zollunion bleibt, bis beide Seiten entscheiden, dass dies nicht mehr notwendig ist. Doch die Brexit-Hardliner fordern ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop, damit London eigene Handelsabkommen etwa mit den USA schließen kann.

Da im britischen Unterhaus eine Ablehnung drohte, hatte May am Montag die für Dienstagabend geplante Parlamentsabstimmung über das mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen abgesagt. Sie will nun Nachverhandlungen über eine zusätzliche Rückversicherung in der Backstop-Frage führen. Unklar ist, ob das unbedingt das Aufschnüren des Brexit-Abkommens oder nur ein Zusatzdokument erfordert. Denn Neuverhandlungen über das Brexit-Abkommen lehnen die EU-Staaten ab.

Österreich gegen Änderung des Deals

Bundeskanzler Sebastian Kurz und EU-Minister Gernot Blümel (beide ÖVP) sprachen sich deutlich dagegen aus. "Der Deal, den wir im Moment haben, ist ein guter und ausgewogener Deal, und ich denke, es liegt im Interesse von uns allen, ein No-Deal-Szenario zu vermeiden", sagte Kurz der britischen "Financial Times".

Ähnlich äußerten sich Vertreter Deutschlands, Dänemarks und Frankreichs. Der deutsche Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, hat vor Beginn des Allgemeinen Rates am Dienstag in Brüssel die britische Regierung aufgefordert, ihre Hausaufgaben in Sachen Brexit zu erledigen. Ihm zufolge kann May von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel keine Zusagen erwarten.

Besuchsdiplomatie

Die britische Premierministerin versucht unterdessen mit Besuchsdiplomatie von ihrem Anliegen zu überzeugen. Den Beginn machte sie in den Niederlanden, wo sie ihren Amtskollegen Mark Rutte zu Gesprächen traf. Die Niederlande sind traditionell ein enger Partner Großbritanniens in Europa. Aber auch Rutte erteilte ihr im Vorfeld eine Absage zu Neuverhandlungen.

May reiste anschließend nach Berlin weiter und traf dort mit Deutschlands Kanzlerin Merkel zusammen. Am Nachmittag - 17.00 Uhr - wird May in Brüssel dann zu einem Treffen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk erwartet.

Für Neuverhandlungen sprach sich unterdessen das Münchner Ifo-Institut aus. "Zahlen des Ifo-Instituts zeigen, dass ein harter Brexit für beide Seiten mit erheblichen Kosten verbunden ist, auch wenn Großbritannien und Nordirland wirtschaftlich stärker verlieren als die anderen 27 EU-Mitglieder", sagt der österreichische Ifo-Forscher Gabriel Felbermayr.