Südtirol reinigen“ – mit diesem Spruch wirbt die rechtsextreme Partei Casa Pound für die Landtagswahl am 21. Oktober. Werden da schlimme Erinnerungen wach?
ARNO KOMPATSCHER: Es ist dieselbe Sprache, die Faschisten und Nationalsozialisten verwendet haben. Wie die Geschichte gezeigt hat, ist es aber nicht dabei geblieben. Aus den Worten sind Taten entstanden. Die Sprache ist immer relevant für das, was folgt.

Man wirft Ihnen vor, das Land mit Einwanderern bevölkert zu haben. Was stimmt daran?
Hier wird versucht, mit Angstmache, Neid und Hasskampagnen auf Stimmenfang zu gehen. Leider ist das zurzeit in Europa insgesamt en vogue. Dass es auch bei uns stattfindet, ist betrüblich, da es völlig an der Realität vorbeigeht.

Wie akut stellt sich die Migrationsfrage in Südtirol?
Wir betreuen gegenwärtig rund 1400 Asylwerber im Land. Das sind weniger als noch vor einem Jahr. Wir haben die Unterbringung in sehr kleinen Gruppen organisiert, das funktioniert vergleichsweise gut. Südtirol hat alles andere als eine Ausnahmesituation.

Sie gelten als moderate Stimme in der europäischen Flüchtlingsdebatte. Fürchten Sie nicht, dass sich das am Wahltag rächt?
Für mich gibt es Themen, wo es unzulässig ist, dass man sie zum wahltaktischen Kalkül macht. Die humanitären Grundwerte gehören dazu. Ich kämpfe dafür, dass sie mehrheitsfähig bleiben. Mit wehenden Fahnen unterzugehen, ist nämlich auch nicht im Sinne der Menschlichkeit.

Sind Sie für die Politik von heute zu wenig Raubtier?
Es braucht viel mehr Mut, Sachpolitik zu betreiben, als mit den Wölfen zu heulen. Ich bin fünf Jahre Landeshauptmann und habe es ganz gut hingekriegt. Der Brenner ist noch immer offen. Das schreibe ich ein wenig auch mir zu.

Im Vorjahr wollte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil Panzer am Brenner auffahren. Und Sebastian Kurz hat das begrüßt. Hat man in Wien immer ein Sensorium für die hohe historische Symbolik dieser Grenze?
Bei einigen hat das eindeutig gefehlt. Das war enttäuschend. Der offene Brenner hat ja nicht nur für uns, sondern für ganz Europa einen hohen symbolischen und realen Wert. Ich gehöre noch zu der Generation, die ahnt, dass das alles nicht selbstverständlich ist in Europa. Mein Vater hat mir, als ich klein war, erzählt, wie er im Krieg als Bub in Atzwang mit einer Waffe in der Hand den Bahnhof bewachen musste und vor Angst nur so geschlottert hat. Der Brenner steht für die Überwindung des Nationalismus. Am Brenner entscheidet sich auch die Zukunft Europas.

Stört es Sie, wenn man Sie oft an Ihrem Vorgänger misst?
Das ist nicht immer angenehm, weil an verschiedene Situationen derselbe Maßstab angelegt wird. Aber das ist natürlich. Luis Durnwalder war 25 Jahre Landeshauptmann.

Ihre SVP wird am Sonntag Federn lassen müssen. Neigt sich die Ära der alten Volksparteien auch in Südtirol ihrem Ende zu?
Wir haben aufgrund unserer Minderheitenposition in Italien eine besondere Situation. Das ist ein Kitt, der anderswo fehlt. Aber grundsätzlich wird es für Volksparteien der bürgerlichen Mitte immer schwieriger, in dieser neuen hektischen Welt des ständigen medialen Aufruhrs mit Sachpolitik Konsens zu erzielen.

Was bedeutet die Erosion der SVP für die Südtiroler Autonomie?
Südtirol ist so stark, weil wir in Rom, Wien und Brüssel stets mit einer Stimme gesprochen haben. Diese Geschlossenheit hat uns Respekt verschafft, denn wir konnten Handschlagqualität beweisen. Wenn wir das verlieren – ich glaube nicht daran –, riskieren wir nicht nur politische Instabilität in Südtirol, sondern vor allem den Verlust unserer Stärke in Rom.

Wie kommen Sie mit der neuen Regierung in Rom zurecht?
Was Südtirol anbelangt, hatte ich bisher positive Erfahrungen. Wir haben dort weitergearbeitet, wo wir mit der alten Regierung stehen geblieben sind. Auf einem anderen Blatt stehen die fiskalpolitischen Vorstellungen. Da hoffe ich doch, dass einiges korrigiert wird. Mehr Schulden machen als vereinbart, ist nur zulässig, wenn man strukturelle Investitionen macht. Das ist nicht der Fall. Da wird nur Geld verteilt.

Südtirol war nie reicher und autonomer als heute. Braucht es Österreich überhaupt noch?
Österreichs Schutzfunktion ist nach wie vor aktuell, da sie der Garant für das Beibehalten des Autonomiestatus ist.

Die rechte Lega offeriert sich Ihnen als Koalitionspartner. Ist das für Sie eine Option?
Das Autonomiestatut garantiert die Vertretung aller Sprachgruppen in der Landesregierung. Für uns ist aber klar: Koalitionspartner kann nur sein, wer sich zu Autonomie, Europa und zu einem friedlichen Zusammenleben in Südtirol bekennt.

Sie können ja den Doppelpass zur Bedingung machen?
Genau so funktionieren die Dinge eben nicht.

Wie wichtig ist er Ihnen eigentlich, der Doppelpass?
Der Doppelpass ist ein Wunsch, den die Südtiroler Volkspartei seit vielen Jahren an Wien heranträgt. Und auch viele Südtiroler sagen, das wäre etwas Schönes. Aber er darf nichts Trennendes haben, muss im europäischen Geist realisiert werden.

Das klingt nicht so, als ob der Doppelpass für Sie Priorität hat.
Oberste Priorität war stets die Autonomie und Österreichs dazugehörige Schutzfunktion.

Viele Südtiroler fürchten, dass der Pass einen Keil zwischen die Volksgruppen treibt. Warum ignoriert Wien das?
Ich glaube nicht, dass man das ignoriert. Aber es gibt einzelne Exponenten der FPÖ, die sich aufführen wie der Elefant im Porzellanladen. Kanzler Kurz und Außenministerin Kneissl haben dagegen klargestellt, dass der Doppelpass nur im Dialog und im Einvernehmen mit Rom umgesetzt wird.

Man hat das Gefühl, da wird etwas betrieben, was gar nicht mehr der Lebenssituation vieler Südtiroler entspricht?
Schauen Sie sich um in der Welt! Sie ist voller unbewältigter ethnischer Konflikte. In Südtirol haben wir eine besondere Form des Zusammenlebens erreicht, die die Identitäten schützt, aber gleichzeitig den Mehrwert der Vielfalt nutzt. Ich sehe es ja an mir. Ich bin Nachfahre von Österreichern, meine Identität ist aber das Ergebnis einer weitaus vielschichtigeren Sozialisation. Ich wünsche mir für uns daher einen Autonomiepatriotismus ganz im Sinn des Verfassungspatriotismus, den der Philosoph Jürgen Habermas für Deutschland fordert. Unsere Autonomie ist ein meisterhaftes Konstrukt, in dem sich alle – Deutschsprachige, Italiener und Ladiner – unabhängig von ihrer Sprachzugehörigkeit wiederfinden können. Die Autonomie, auch das Ringen darum, hat uns als Südtiroler geprägt. Die Ängste vor einem ewigen Getrenntsein in ethnischen Käfigen haben sich nicht bewahrheitet. Es gibt heute immer mehr Zusammenleben. Darauf können wir stolz sein.