Zwei Wochen vor dem Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin geht die Türkei erneut gegen deutschsprachige und andere EU-Bürger vor. Am Dienstag wurde der freie Journalist Max  Zirngast, ein Steirer, in Ankara unter Terrorvorwürfen festgenommen. Gleichzeitig wurde bekannt, dass ein deutscher Staatsbürger türkischer Herkunft bereits vor einem Jahr aus politischen Gründen zu fast zehn Jahren Haft verurteilt wurde. In Bulgarien wird ein kurdisch-stämmiger Deutscher über ein Auslieferungsersuchen der Türkei festgehalten.

Sofortige Freilassung gefordert

Österreich fordert die sofortige Freilassung von Max Zirngast. Österreich stehe für die Gedanken- und Pressefreiheit, twitterte Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal. Zirngast werde durch die österreichische Botschaft in Ankara betreut. "Ja, bei dem inhaftierten Journalisten handelt es sich um meinen Sohn. Wir haben keinen direkten Kontakt zu ihm und wissen auch nicht, wie es ihm geht", bestätigt der Vater des gebürtigen Leibnitzers. Die gesamte Kommunikation mit der Türkei laufe über die österreichischen Behörden. "Mehr kann ich derzeit nicht sagen", bittet der Vater um Verständnis.



Der 29-jährige Journalist studiert seit 2015 an der renommierten Technischen Universität des Nahen Ostens (ODTÜ) in Ankara Philosophie und Politikwissenschaft. Zugleich arbeitet er als freier Autor für die linken Magazine "re:volt" aus Wien und "Jacobin" aus den USA. Die nach eigener Aussage "linksradikale" "re:volt" gibt an, ihm würden wohl "politische Publikationen" zum Vorwurf gemacht, außerdem seine freiwillige Tätigkeit in einem sozialen Zentrum für Kinder ärmerer Haushalte in Ankara. Das International Press Institute (IPI) kritisierte, wieder werde "das türkische Anti-Terror-Gesetz missbraucht, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen."



Zirngasts politische Einstellung sei mit der deutschen Linkspartei vergleichbar. "Er will politisch aktiv sein und ist dafür auch bereit, Risiken einzugehen. Aber er ist nicht leichtsinnig und hat absolut nichts mit Terrorismus zu tun."  Küpeli hält es für möglich, dass Zirngasts Festnahme nicht speziell auf ihn zielte, sondern auf die linke Studentengruppe, in der er sich engagierte. "Die Justiz geht massiv gegen linke und prokurdische Studierende an der ODTÜ vor." Andererseits könnte die Polizeiaktion auch direkt gegen den österreichischen EU-Ratsvorsitz seit Juli gerichtet sein – "weil Erdogan Österreich als Gegner ansieht." Doch kurz vor dem Deutschlandbesuch Erdogans und dem angestrebten Tauwetter mit der EU könne eben dies verheerend wirken.

Auch Deutsche in Haft

Ebenso irritierend sind neue Berichte, wonach die Türkei mit großer Härte gegen deutsche Staatsbürger vorgeht, denen sie Straftaten mit Terrorbezug vorwirft. So wurde durch Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" am Dienstag bekannt, dass ein Deutscher mit türkischem Hintergrund bereits im Juli 2017 wegen "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" in der Türkei zu neun Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde. Der 55-jährige Geschäftsmann Nejat U. aus Aachen sei beschuldigt worden, Mitglied in einem Unternehmerverein zu sein, der zur Sekte des Islampredigers Fethullah Gülen gehöre, den Erdogan als Drahtzieher des Putschversuches vom Juli 2016 ansieht. Nejat U. bestreitet alle Terrorvorwürfe. Außer ihm sind derzeit noch sieben weitere Deutsche namentlich bekannt, die aus politischen Gründen in türkischer Untersuchungshaft sitzen.

Unterdessen versucht die Türkei weiter, über Interpol-Haftbefehle deutsche und andere EU-Staatsbürger, die sie als politische Dissidenten betrachtet, von Drittländern verhaften und ausliefern zu lassen. Am 2. September wurde der Deutsch-Türke Mehmet Y. in Bulgarien festgenommen und unter Hausarrest in seinem Ferienhotel gestellt. Dem kurdisch-stämmigen Mann mit deutschem Pass droht eine mehrjährige Haftstrafe in der Türkei wegen angeblicher PKK-Unterstützung, was er bestreitet. Er hatte wegen der Verfolgung in der Türkei in Deutschland politisches Asyl erhalten und war 2009 eingebürgert worden. Das Auswärtige Amt betreut ihn, schweigt jedoch zum Verfahren.