Heute vor 100 Jahren wurden Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie in Sarajevo von Gavrilo Princip ermordet. Wie sind Sie als Enkel der Opfer mit diesem Ereignis aufgewachsen?

ALBRECHT HOHENBERG: Mein Vater war zwölf Jahre alt, als das Schreckliche passierte. Über das Thema sprach man möglichst wenig in unserer Familie. Immer am 28. Juni wurde in der Gruft im Familienschloss Artstetten eine heilige Messe gefeiert, daher hat man gewusst von der Sache. Von den bösen Menschen, die also die armen Großeltern erschossen haben. So ist das einem als Kind erzählt worden. Mehr nicht.

Haben Sie mit Ihrem Vater darüber gesprochen?

HOHENBERG: Ich habe meinen Vater nie besonders darüber ausgefragt. Das wäre taktlos gewesen, und das hat man sich einfach nicht getraut. Wie ich erwachsen war, war er tot. Das Einzige, das mein Vater einmal gesagt hat, war, dass es eigentlich ein Segen war, dass sie beide zusammen sterben durften. Stell dir vor, hat er gesagt, einer der beiden wäre übrig geblieben. Entweder dieser vor Zorn bebende Erzherzog oder die arme Mutter, die von überall verscheucht worden wäre. Sie haben also beide sterben dürfen.

Wenn Ihr Vater darüber gesprochen hat, wie war das?

HOHENBERG: Ich kann mich nicht erinnern, einmal meinen Vater oder seine Geschwister jammern oder darüber klagen gehört zu haben. Wenn die beisammen waren, das war ein Lachen, alte Geschichten wurden erzählt, über den oder jenen. Das war ein "Weißt du noch?". Das war nie ein "Was wir erlebt haben" oder "Einfach schrecklich".

Der Verlust der Eltern durch die Ermordung ist so hingenommen worden?

HOHENBERG: Ja, meine Eltern waren natürlich sehr gläubige Menschen. Das hilft. So hat mein Vater auch das Konzentrationslager Dachau überstanden und all diese Sachen. Auch die Enteignungen aller Besitzungen im ehemaligen Böhmen. Das war ja alles weg.

Wie war es für Sie, ohne Großeltern aufzuwachsen?

HOHENBERG: Ich hatte Großeltern von meiner Mutter. Die anderen waren halt nicht da. Es waren Bilder und Fotografien vorhanden, aber das war alles so weit weg. Das hat man sich auch nicht so richtig vorstellen können. Ein Erzherzog, ein großer Mann mit Schnurrbart in Generalsuniform, und das sollte der eigene Großvater sein. Manchmal hat man vielleicht bedauert, dass man diese Zeit, das höfische Leben, nicht erlebt hat.

Hätten Sie gerne mit Ihren Großeltern gesprochen?

HOHENBERG: Erst als Erwachsener habe ich gedacht, es wäre lustig gewesen, sie einmal auszufragen und vor allem auch jene Menschen, die die Großeltern noch gekannt haben.

Hat sich diese Gelegenheit einmal ergeben, mit Menschen aus dem nahen Umfeld Ihrer Großeltern zu sprechen?

HOHENBERG: Ja, es gab doch Schwestern von meiner Großmutter Sophie, etliche. Es lebten auch noch Leute, die dem Erzherzog ganz nahe waren. An der Spitze sein Sekretär und enger Vertrauter Franz Janacek, der vom Büchsenspanner zum ersten Vertrauten des Erzherzogs geworden ist. Solche Menschen konnte ich ja noch erleben, ebenso Jäger, die mir sagten, wie gut Erzherzog Franz Ferdinand als Schütze war.

Rückte Sie das wenigstens Ihrem Großvater etwas näher?

HOHENBERG: Das war grundsätzlich alles sehr weit weg, es ist eben nie viel darüber gesprochen worden. Mein Vater erzählte zwar schon einzelne Dinge, aber das waren eher komische Sachen, Momentkomik. Nie politisch.

Ihr Vater verlor die Eltern auf dramatischste Art und Weise, wuchs praktisch als Waise auf. Er selbst war dann, wie Sie erzählen, ein vorbildlicher Vater. Ist Ihnen aus dieser Geschichte heraus die Familie so wichtig?

HOHENBERG: Vielleicht war mein Vater deshalb so ein guter Vater, weil er ohne Eltern aufgewachsen ist. Die Familie ist wichtig, sie gibt Halt und Kraft. Die Eltern meines Vaters, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie, hatten auch ein inniges Familienleben geführt. Mein Vater sagte immer, wir werden nach dem Beispiel, das wir geben, beurteilt werden.

Wie geht man mit dem Täter, dem Mörder der Großeltern, gedanklich um?

HOHENBERG: Die Tante Sophie, die Schwester meines Vaters, schrieb dem Princip einen Brief, sie schrieb, dass sie ihm verzeihe. Ich will nicht sagen, dass sie dazu gezwungen wurde. Der Brief wurde auch abgeschickt.

Empfinden Sie Hass gegenüber dem Attentäter?

HOHENBERG: Hass? Nein. Ich wurde anders erzogen. Früher sagte ich manchmal: "Jessas, a Serb." Aber gehasst habe ich nie.

Verstört Sie, dass man nun in Sarajevo dem Doppelmörder ein Denkmal gesetzt hat? HOHENBERG: Für die Serben ist dieser Gavrilo Princip ja eine Art Andreas Hofer.