Menschliches und politisches Handeln werden stets durch Rahmenbedingungen, durch Herkunft und durch Sozialisation bestimmt. Das war auch beim amerikanischen Präsidenten Wilson, der von 1913 bis 1921 als 28. Präsident der USA amtierte, nicht anders. Sein Vater war schottisch-irischer Abstammung, Pfarrer der presbyterianischen Kirche und gleichzeitig Sklavenhalter in den Südstaaten. Die Mutter, schottischer Herkunft, war noch in England geboren worden. Wilson genoss eine exzellente Ausbildung in Privatschulen, studierte an mehreren Universitäten und war ab 1890 Professor in Princeton, wo er die Fächer Rechtswissenschaft und Nationalökonomie unterrichtete. 1910 wurde er Rektor der renommierten Universität und gleichzeitig Gouverneur von New Jersey, als Quereinsteiger in die Politik.

Dieses Image des Gelehrten, der fern von Parteiapparaten stand, machte ihn populär und trug ihn durch die Vorwahl der Demokraten und schließlich ins Weiße Haus, als ersten Südstaatler seit dem Bürgerkrieg.

Dieses Umfeld prägte Wilson: In der Weltpolitik stand er dem britischen Imperium nahe, er hatte das Gefühl der Überlegenheit der "weißen Rasse" internalisiert, aber er war auch ein Mann der Sozialreform, der das Wohlergehen der breiten Masse politisch im Auge hatte.

Friedenspräsident

Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges hielt Wilson die USA neutral. Das führte ihn zur knappen Wiederwahl im November 1916. Er hatte den Menschen der USA das Gefühl vermittelt, ein Friedenspräsident zu sein, der das Land davor bewahrte, Soldaten zu opfern. Und er konnte glaubhaft machen, dass die USA zur ökonomischen und politischen Großmacht geworden waren, die die alte Monroe-Doktrin von 1823 ("Amerika den Amerikanern") politisch umsetzen konnte.

Wilson selbst hatte nie von Neutralität gesprochen. Im Gegenteil, seine persönlichen Sympathien waren auf der Seite Englands. Der Kriegseintritt der USA 1917, das Auftauchen auch als militärische Großmacht, kann als Startschuss für ein neues Jahrhundert gelten. Wilson war daher überzeugt, dass von Washington aus eine neue Weltordnung konzipierbar ist. Seine 14 Punkte sollten die Richtung vorgeben.

Dieses Konzept war aber innenpolitisch und außenpolitisch umstritten. Bei den Friedensverhandlungen in Versailles stützte Wilson den Machtanspruch Clemenceaus, der Europa den Stempel der französischen Interessen aufdrücken wollte. Und Wilsons Konzept des Selbstbestimmungsrechts zerbrach auch an den italienischen Ansprüchen auf Südtirol, an den Gegensätzen von Italien und dem SHS-Staat (Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen) in der oberen Adria und an den Wunschvorstellungen tschechischer und polnischer Exilpolitiker. Wilson scheiterte auch dramatisch im Nahen Osten. Weder Armenier noch Kurden fanden sich in einem eigenen Staat wieder, und den Rohstoffinteressen von England und Frankreich hatten die USA auch nur wenig entgegenzusetzen.

Der Südstaatler

So war es nur konsequent, dass der US-Kongress bereits den ersten Friedensvertrag, jenen von Versailles mit Deutschland, nicht ratifizierte. Damit war auch der Beitritt der USA zu Wilsons Lieblingsprojekt, dem Völkerbund, unmöglich, war dieser doch Gegenstand des Friedensvertrages.

1919 erlitt Woodrow Wilson, gezeichnet durch das unbefriedigende Resultat seiner Anstrengungen, einen Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmte. Dennoch ging er weiter seinen Amtsgeschäften nach. Und 1919 erhielt er den Friedensnobelpreis für seine Verdienste um die Beendigung des Weltkrieges und für die Gründung des Völkerbundes.

Trotz seiner körperlichen Beeinträchtigung plante Wilson, für eine dritte Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten zu kandidieren, er schaffte aber nicht einmal mehr den Sieg bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei. Er überlebte allerdings seinen republikanischen Nachfolger, Warren G. Harding, der 1923 überraschend verstarb. Dessen Begräbnisfeier war einer der letzten Auftritte Wilsons in der Öffentlichkeit. Am 3. Februar 1924 verstarb auch er und fand seine letzte Ruhestätte in der National Cathedrale von Washington.

Woodrow Wilson war also eine ambivalente Persönlichkeit. So war er stets überzeugter Südstaatler. Als Rektor von Princeton empfahl er etwa, dass sich Schwarze dort nicht bewerben sollten. Etliche Südstaatler beförderte er in hohe Positionen und die seit dem Bürgerkrieg aufgehobene Rassentrennung im Militär und bei den Behörden führte er wieder ein. Auch in der Außenpolitik hielt er die Siegermächte Japan und China nicht für gleichwertig, und dass der Krieg auch ein Schritt in Richtung Emanzipation für die Kolonien der Siegermächte Frankreich und England sein könnte, passte nicht in seine Vorstellungswelt.

Gescheitertes Konzept

Wilsons Vorstellung zu den Grenzziehungen in Kontinentaleuropa war von den in der Habsburgermonarchie entwickelten Theorien zur nationalen Frage geprägt, die "Nation" weitgehend mit "Sprachnation" gleichsetzten, die also annahmen, dass Menschen, die polnisch sprechen, Polen wären, italienisch sprechende Menschen Italiener. Sprache war für ihn nicht voluntaristisch, also wählbares Kommunikationsinstrument, sondern definierte Nationszugehörigkeit. Wilsons Konzept von "Sprachgrenzen" musste in der Realität dramatisch scheitern. Es zerbrach nicht nur an den Machtansprüchen der Sieger, sondern auch an der Realität vor Ort.

Dennoch: Die Ideen Wilsons waren auch positive Startrampen für die Weiterentwicklung des internationalen Gemeinwesens. Internationale Vereinigungen wie die "International Labour Organization (ILO)" in Genf haben das Leben vieler Menschen positiv beeinflusst. Und es wurden die Bürgerrechte zu Menschenrechten weiterentwickelt. Auch dafür boten Wilsons Konzepte das tragfähige Fundament.

Dass die USA die dominante Macht im 20. Jahrhundert und darüber hinaus werden konnten, ist ebenfalls der Politik jener Wilson'schen Jahre zu danken. Der Befund muss aber insgesamt ambivalent bleiben.