Vor ziemlich genau zwei Jahren warf Walter Pöltner als Chef der Alterssicherungskommission entnervt das Handtuch. Er trete zurück, "aus Frust, weil die Politik die langfristige Absicherung der Pensionen nicht ernst" nehme. Die Kommission sollte über die langfristige Balance des Pensionssystems wachen, vor allem Alarm schreien, wenn die finanzielle Unterfütterung zu erodieren droht. Seit damals ist die Schlüsselstelle vakant – wie drei andere Chefsessel in der Republik auch.

Schüssel war der letzte mutige Politiker

Dass sich die Politik der Pensionsfrage annimmt, diese Hoffnung habe er längst aufgegeben. Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sei der "letzte Politiker gewesen, der sich was getraut hat", so Pöltner. Er kommt aus der roten Ecke, zeichnete bis zur Pension im Sozialministerium als Sektionschef für die Frage verantwortlich und war im Frühjahr 2019 eine Woche Sozialminister – in dem kurzen Interregnum zwischen der Abwahl von Sebastian Kurz und der Angelobung von Brigitte Bierlein. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) habe den Mut aufgebracht, beim Pensionskonto gegen die "Gewerkschaft, die immer nur 'Nein' sagt", aufzutreten. "Seit Kurz gibt es überhaupt keine Diskussion, weil man immer nur auf die Wahlen schaut", sagt Pöltner im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.

"Ich bin selbst ein Pensionsurlauber"

Die Ausgangslage sei eine banale: "Wenn wir länger leben, müssen wir länger arbeiten. Diese Aussage ist so trivial, dass man sich fragt, warum man das Thema nicht entschiedener angreift." In Österreich stehe man mit dem Thema Arbeit ohnehin auf Kriegsfuß: "Als ich 50 war, haben mir die Leute gesagt: Warum bist du nicht schon in Invaliditätspension? Wenn sie das einem Schweden mit 65 sagen, ist er beleidigt." In Österreich würde man mit 65 in den "Pensionsurlaub" gehen. "Ich bin 71 und selbst einer. Ich bin gesund in Pension gegangen, arbeite nach wie vor, wenn auch nicht in dem Umfang."

"Es ist längst zu spät"

Pöltner spricht sich für einen Maßnahmenmix aus, um die Menschen länger im Arbeitsleben zu halten. Er macht allerdings kein Geheimnis daraus, dass auch das gesetzliche Pensionsalter anzuheben sei – ab 2037. Ob das nicht zu spät sei? "Es ist längst zu spät." Warum nicht schon ab 2030? "Weil das politisch nicht umsetzbar ist." Was umsetzbar wäre?

Pöltner verweist auf die Systematik bei der Anhebung des Frauenpensionsalters, die vor 30 Jahren beschlossen wurde und erst 2024 startet. Niemand, der damals die unpopuläre Entscheidung getroffen hat, ist heute im Amt. Die Regierung sollte eine Expertengruppe einsetzen, die ein Bündel von Maßnahmen erarbeitet. 2034 ist das Angleichen des Antrittsalters von Frauen an jenes der Männer abgeschlossen. "Dann sollte es eine kurze Pause geben. Ab 2037 sollte das Pensionsantrittsalter in Schritten bis 67 angehoben werden, etwa ein Monat im Quartal, also um vier Monate pro Jahr. Das ist zumutbar."

"Arbeitsmedizin aus dem letzten Jahrhundert"

Um Menschen länger im Erwerbsleben zu halten, müsse man an vielen Stellschrauben drehen. So sollte man stärker nach Berufen differenzieren. "Ein Akademiker, der mit 25 Jahren zu arbeiten beginnt, kann nicht wie ein Arbeiter behandelt werden, der mit 15 begonnen hat." Österreich hinke bei der gesundheitlichen Begleitung hinten nach. "Wir haben eine Arbeitsmedizin, die aus dem letzten Jahrhundert ist. Da wird geschaut, ob der Tisch zwei Zentimeter zu hoch ist. Die psychische Belastung bleibt außen vor." Bei der Gesundenuntersuchung sollte sich jeder freiwillig einem "beruflichen Fitnesscheck unterziehen können, wo der Experte dann sagt: Wenn Sie so weitermachen, sind Sie mit 50 kaputt."

"Mix von jüngeren und älteren Arbeitnehmern"

Ansetzen müsse man bei der Teilzeit. "Man wird Frauen, die in Teilzeit gehen, weil sie Kinder haben oder Angehörige pflegen, besser fördern müssen. Sonst schaut es düster am Pensionskonto aus." Pöltner schweben auch betriebliche Vereinbarungen vor: "Ich setze auf Förderungen für Betriebe, die Maßnahmen setzen, damit ältere Arbeitnehmer nicht abgebaut werden. Ein guter Mix zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern erhöht die Produktivität."