Ein bisschen nervös sei er, sagt Julian Hessenthaler zu Beginn des Publikumsgesprächs mit ihm in der Roten Bar des Wiener Volkstheaters: "Ich bin ja das erste Mal auf einer Bühne." Hessenthaler ist erst seit 7. April in Freiheit. Davor verbüßte er eine zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe wegen des Handels mit 1,25 Kilogramm Kokain. Wegen guter Führung wurde er frühzeitig entlassen.

Doch nicht deswegen sind die 100 Plätze in der Roten Bar belegt. Hessenthaler ist der Drahtzieher hinter dem Ibiza-Video, das zunächst zum Rücktritt von Heinz-Christian Strache und einen Tag später zu dem der türkis-blauen Regierung führte. Im August 2017 war es Hessenthaler, der in einer Finca in Ibiza Kameras aufstellte und gemeinsam mit einer vermeintlichen Oligarchennichte die FPÖ-Spitzenpolitiker Johann Gudenus und  Strache empfing.

Das Ibiza-Video war Straches Ende als Vizekanzler
Das Ibiza-Video war Straches Ende als Vizekanzler © APA/AFP/SPIEGEL and Sueddeutsche Zeitung/- (-)

Sechs Monate Urlaub nach Ibiza

Ausschweifend beschreibt Hessenthaler bei der Veranstaltung, zu der das deutsche Recherchenetzwerk "Correctiv" geladen hatte, die Stunden und Tage nach der Veröffentlichung des Videos im Mai 2019. Er hätte die Tage in einer Ferienwohnung in Bayern verbracht, 20 Stunden nicht geschlafen, parallel auf drei Laptopbildschirme und zwei Fernseher gestarrt. "Ich habe gewusst, dass die sechs Monate danach stressig werden", sagt er. "Also bin ich auf Urlaub gefahren."

Der Stress sollte länger dauern. 2020 wird Hessenthaler in Berlin verhaftet, im März 2022 wird er in St. Pölten zu 42 Monaten Haft wegen Drogenhandels verurteilt. Es ist ein umstrittenes Urteil. Forensische Beweise für die Übergabe gibt es nicht, keine Fotos, keine Fingerabdrücke, kein Kokain. Die Staatsanwaltschaft stützte sich auf, mitunter widersprüchliche, Zeugenaussagen. Menschenrechtsorganisationen kritisierten den Prozess, der 43-Jährige beteuert seine Unschuld. Politisiert, so wirkt es am Donnerstag, hat sich Hessenthaler erst nach den Aufnahmen von Ibiza. Er sagt: "Ich habe seither viele Dinge gesehen und viele Dinge gelesen. Ich kann jetzt nicht aufstehen und gehen."

Planung bei Wodka und Zigaretten

In die Ibiza-Geschichte ist der Privatdetektiv hineingestolpert. Den Auftrag, den ehemaligen FPÖ-Chef zu kompromittierenden Aussagen zu bringen, erhält er 2016 vom Wiener Anwalt M. bei Wodka und Zigarettenrauch, so hat es Hessenthalter einmal selbst erzählt. Zu den Klienten von M. gehörte ein in Ungnade gefallener Personenschützer von Strache, der überlegte, gegen seinen Ex-Chef juristisch vorzugehen. Er besaß Fotos, die mutmaßlich Schwarzgeld eines ostukrainischen Oligarchen im Kofferraum Straches zeigen sollten. Der Bodyguard behauptete, der Oligarch wollte sich damit einen Sitz im Parlament kaufen.

Der Polizei ist das zu wenig, also musste Bewegtbild her. Woher das Geld für die Unternehmung kommt – Gudenus wurde über Monate hinweg bearbeitet, zur Staffage gehörten neben der Finca auch Luxusautos und Suiten und Nobelhotels –, ist eines der Mysterien, das sich um den Fall rankt. Hessenthaler beteuert auch am Donnerstag: M. hätte alles bezahlt.

Den Auftrag bekam er, weil er eine Privatdetektei in München betrieb, er selbst nannte sich in dieser Zeit "Sicherheitsberater". Für Unternehmen spionierte er die Konkurrenz aus, für staatliche Behörden hörte er sich in der Unterwelt um, und um an Informationen zu kommen, zimmerte er Lügengebäude: Dafür "braucht man ein Gefühl für Menschen. Man muss verstehen, was sie motiviert", sagte Hessenthaler in einem Interview mit "Correctiv", das in der Vorwoche erschien. Die Oligarchennichte habe in Ibiza ihre Rolle kühl und herablassend angelegt, das habe Strache und Gudenus zu immer wilderen Ansagen verleitet.

Volles Haus in der Roten Bar im Volkstheater
Volles Haus in der Roten Bar im Volkstheater © Christoph Kleinsasser

Lücken im Lebenslauf

Dass er über großes Einfühlungsvermögen verfügt, attestieren auch andere. Gudenus sagt das. Er könne sich gut in die Gedankenwelt von anderen hineinversetzen, sagte auch Hessenthalers Mutter in einer ORF-Doku aus dem Vorjahr. Was ihr Sohn gemacht hat, bevor er Detektiv wurde, ist nur bruchstückhaft bekannt. Hessenthaler sagt, seine Mutter habe im Auftrag des Außenministeriums in unterschiedlichen Ländern als Lehrerin gearbeitet, er sei in den USA, Indien und Japan aufgewachsen. Zur Matura sei er nicht angetreten. Bevor er nach München ging, habe er in "Gastronomieprojekten im In- und Ausland" gearbeitet, sagte er 2021 vor dem Untersuchungsausschuss.

Am Schluss der eineinhalbstündigen Veranstaltung im Volkstheater ist die Nervosität von Hessenthaler abgefallen. Seine Sätze werden präziser, sein Witz kommt stärker durch. Auf die Frage aus dem Publikum, ob sich Hessenthaler als Aktivist verstehe, antwortet er: "Mit solchen Labels kann ich nicht viel anfangen. Ich war Sicherheitsberater. Was ich jetzt bin, finde ich gerade erst heraus."