1 Wofür gibt es eine Sicherheitsstrategie?

Die Sicherheitsstrategie (bis 2013 "Sicherheits- und Verteidigungsoktrin", vormals "Landesverteidigungsplan") ist das Grundlagendokument für die österreichische Sicherheitspolitik nach innen und nach außen. Sie definiert die größten Bedrohungen für die Republik, sicherheitspolitische Leitlinien und Handlungsfelder. Sie ist jedoch relativ offen formuliert und für die Akteure auch nicht verbindlich.

2 Was sind die größten Makel des gültigen Dokuments?

Zunächst ist das 2013 im Parlament beschlossene Papier längst veraltet. Denn mit der russischen Annexion der Krim 2014, der Pandemie ab 2020 und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 haben drei markante Ereignisse die alte Weltordnung über den Haufen geworfen. Zudem haben nur Verteidigungs- und Innenministerium wie eigentlich vorgesehen eigene "Teilstrategien" abgeleitet und umgesetzt. "Das blieb konsequenzenlos", merkt Brigadier Philipp Eder, Leiter der Abteilung Militärstrategie im Verteidigungsministerium, an. Auch komme im Papier die "Umfassende Landesverteidigung" nirgends vor, obwohl diese in der Verfassung verankert ist.

3 Wen betrifft die Sicherheitsstrategie?

Sicherheit ist klassische Querschnittsmaterie. Formal ist die Angelegenheit beim Bundeskanzleramt angesiedelt. Die wichtigsten Akteure sitzen jedoch im Verteidigungs-, Innen- und Außenministerium. "Im Dokument sind 18 Bedrohungen gelistet, bei keiner einzigen spielt das Militär die Hauptrolle", verdeutlicht Eder das breite Spektrum. Wie Terror, illegale Migration, Pandemie, Cyberangriffe und die Energiekrise gezeigt haben, müssen beispielsweise das Gesundheitsministerium, die für Integration zuständigen Stellen, das Infrastrukturministerium, die Bundesländer sowie die Zivilgesellschaft noch stärker eingebunden werden.

Brigadier Philipp Eder, Leiter der Militärstrategischen Abteilung im Verteidigungsministerium
Brigadier Philipp Eder, Leiter der Militärstrategischen Abteilung im Verteidigungsministerium © kk

3 Auf Basis welcher strategischen Papiere plant das Militär jetzt?

Auch die "Teilstrategie Verteidigungspolitik"  aus dem Jahr 2014 ist längst nicht mehr aktuell. Höchste Relevanz hat das "Streitkräfteprofil", das im März 2021 von Ministerin Klaudia Tanner ausgewählt und mit dem des Ukraine-Krieges überarbeitet wurde. Der Fokus der Streitkräfteplanung liegt demnach auf dem Schutz der Heimat und nicht mehr auf dem Auslandseinsatz. Dennoch bedarf es laut Eder einer Nachschärfung, so etwa bei konventionellen Bedrohungen – vor allem im Luftraum – und im Cyberbereich.

4 Welche Rolle wird die Neutralität in der neuen Sicherheitsstrategie spielen?

Bundeskanzler Karl Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler kündigten eine "Weiterentwicklung" der Neutralität an, ohne das zu konkretisieren. Eine von vielen Experten geforderte ergebnisoffene Diskussion inklusive Nato-Frage ist nicht erwünscht. Für Militärstrategen Eder muss aber ein Kernpunkt erörtert werden: "Wie geht man mit der Beistandspflicht der EU um? Und zwar in beide Richtungen." Der Nato-Beitritt Finnlands und demnächst Schwedens habe laut Eder auch für Österreich hohe Relevanz. "Denn diese beiden Länder haben kein Interesse mehr, Impulse in Richtung Stärkung der EU-Sicherheitsstrukturen zu setzen."

5 Wie könnte man dafür sorgen, dass die Sicherheitsstrategie künftig ernst genommen wird?

Eder regt an, dass die Aufgaben und die notwendigen Ressourcen in den jeweiligen Bereichen konkreter formuliert werden. Allerdings: "Dass die Gesamtstärke des Bundesheeres 55.000 Soldaten beträgt, hat in der Sicherheitsstrategie eigentlich nichts verloren." Solche Festlegungen sollten in einem begleitenden Gesetz beschlossen werden. Die Bedrohungsanalyse sollte auf eine gesamtstaatliche Ebene gehoben und politisch breit akzeptiert werden. Jährliche "Risikobilder" werden bisher nur vom Verteidigungsministerium erstellt. Auch müsste die Bevölkerung mit Infokampagnen stärker mitgenommen werden.

6 Geht sich das alles aus bis zum Ende der Legislaturperiode?

Es wird knapp, auch wenn regulär erst Ende 2024 gewählt werden sollte. Schließlich soll der Beschlussfassung ein parlamentarischer Prozess mit einer möglichst breiten Zustimmung quer über alle Parteien vorausgehen. Das mag für den Analyseteil der Sicherheitsstrategie noch recht gut gelingen, bei den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen wird es schon schwieriger.