Die ÖVP will die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) überarbeiten. Ist das sinnvoll?
WALTER OBWEXER: Die EMRK ist in die Jahre gekommen. Sie stammt aus dem Jahre 1950 und wurde um 16 Zusatzprotokolle ergänzt und modifiziert. Man könnte das alles kodifizieren, nur müssten alle 46 EMRK-Staaten dem zustimmen. Das ist rechtlich möglich, politisch kaum vorstellbar.

Hinzu kommt, dass jede Änderung zu neuen Rechten geführt hat. Jetzt zu sagen, wir revidieren den Schutz nach unten, wäre ein Paradigmenwechsel, der weltweit kein positives Signal wäre. Ganz abgesehen davon. Von einer Reduktion von Schutzstandards wären nicht nur Drittstaatsangehörige, sondern auch jeder Unionsbürger betroffen.

Also kann man nichts tun?
Was es sehr wohl gibt, ist eine sehr dynamische Rechtsprechung durch den Gerichtshof. Alle Vertragsparteien könnten die eine oder andere Bestimmung, ohne sie zu ändern, authentisch auslegen und damit den Gerichtshof binden. Dazu bräuchte es wieder die Übereinstimmung der Vertragsstaaten: Abgesehen davon, dass das eine Revision nach unten wäre, die ich rechtspolitisch nicht als positiv einstufen würde, müsste auch die EU ihre Grundrechtecharta ändern. In Österreich steht die EMRK im Verfassungsrang. Somit müsste jede Änderung der EMRK auch mit Verfassungsmehrheiten beschlossen werden.

Änderungen sind utopisch?
Man könnte bei grundlegenden Entscheidungen des Gerichtshofs durch eine möglichst zahlreiche Teilnahme vieler EMRK-Vertragsstaaten die Richter zu einer Änderung der Rechtsprechung bewegen. Das geht nur mit guten Argumenten.

Haben Sie ein Beispiel?
Bei den Schutzsuchenden, die von Marokko aus in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla wollten, wurde die Rechtsprechung geändert und gesagt: Wenn Gewalt angewendet wird, hat man nicht mehr das Recht auf Schutz. Das wurde mit guten Argumenten vorher dem Gerichtshof klargelegt, dass alles andere eine Einladung wäre, gewaltsam zu seinem Recht zu kommen. Das könnte auch Österreich tun, indem man argumentiert, dass die Rückweisung von Schutzsuchenden von Österreich nach Slowenien kein verbotener Pushback ist.

Wenn man was ändern will: Wäre nicht die EU das richtige Gremium?
Genau, man müsste das Europäische Asylgesetz ändern. Es gibt ohnehin Vorschläge der Kommission. Da kann manches noch verschärft werden, ohne die Grundrechte zu senken. Hier anzusetzen wäre zielführender, als bei den Grundrechten herumzuschrauben.

Was wäre da aus Ihrer Sicht möglich?
Man könnte Grenzverfahren durchführen, rasche Rückführungsregelungen beschließen, eine gerechtere Verteilung der Schutzsuchenden auf die Mitgliedsstaaten vornehmen. Da ist einiges möglich, die Kommission hat schon vieles vorgelegt.  

Das Problem ist weniger Brüssel, sondern der Rat, wo die Mitgliedsstaaten vertreten sind?
Ja, die müssten mit Mehrheit den Vorschlägen zustimmen. Da ist ohnehin schon einiges in Bewegung.

In Österreich gibt es immer Stimmen, die auch eine Änderung der Genfer Flüchtlingskonvention fordern. 
Da bräuchte man die Zustimmung aller, ich glaube, es sind 149 oder 151 Vertragspartner. Sie wurde in Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg zugeschnitten und wurde dann 1967 so geändert, dass sie unabhängig von den Folgen des Zweiten Weltkrieges gilt. Die Flüchtlingskonvention beinhaltet übrigens nur ganz wenige Regelungen, die einer Verschärfung des europäischen Asylrechts entgegenstehen.