Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schließt das Aussetzen der Impfpflicht nicht aus, nachdem immer mehr Politikern und Experten in diese Richtung drängen. Wenn sich die von der Regierung beauftragten Experten dafür aussprechen, das Gesetz auszusetzen, werde man das machen, erklärt Nehammer in der "Krone" am Sonntag. Er sagt zudem endgültig die Impflotterie ab und schlägt vor, das dafür vorgesehene Geld jenen Menschen zukommen lassen, die in der Pandemie viel geleistet haben.

Konkret nennt er das Gesundheits- und Pflegepersonal, aber auch die Bundesheersoldaten und die Polizei. Er sei diesbezüglich in Gesprächen mit dem Koalitionspartner. "Die Impflotterie war ein Wunsch der Sozialdemokratie. Sie wollte diesen persönlichen Motivationsbonus, und sie wollte, dass der ORF das abwickelt. Für mich war es selbstverständlich, auf den Wunsch einzugehen. Aber so, wie sich die Sozialdemokraten das vorgestellt haben, ist sie nicht durchführbar. Das ist schade, aber kein Beinbruch", so Nehammer.

Gesetz werde ständig evaluiert

Zur Impfpflicht betont der Kanzler, dass das Gesetz ohnehin ständig evaluiert werde, "genau das fordern jetzt die Landeshauptleute". Solange die Experten der Kommission sagen: "'Ja, das Impfen ist das probate Mittel', bleibt die Impfpflicht natürlich aufrecht", so der Kanzler. Wenn aber die Experten der Regierung vorschlagen, das Gesetz abzusagen, werde man das tun.

Die von ihm erwähnte Kommission, die im Bundeskanzleramt angesiedelt sein soll, wurde bisher allerdings noch nicht ernannt. Am Mittwoch finden Beratungen zwischen der Bundesregierung und den Ländern zu Corona statt. Da wird die Impfpflicht sicher auch Thema sein.

Auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck sprach sich am Sonntag in der ORF Pressestunde dafür aus, bei der Impfpflicht flexibel zu sein: "Man muss nicht stur sein", sagte sie am Sonntag in der ORF-Pressestunde. Diskutieren will Schramböck ein Ende der Gratis-Coronatests. Es gebe eine Gratis-Impfung für alle und "man wird der Mehrheit auf Dauer nicht erklären können, warum sie die Tests für die Minderheit zahlen soll".

Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer betont im "Pro und Kontra" der Kleinen Zeitung, dass "wir unsere Entscheidungen weiterhin auf Basis wissenschaftlicher Evidenz treffen und langfristig planen". Ein zentraler Kontrollmechanismus sei im Gesetz verankert: "Es wird laufend evaluiert, ob die Impfpflicht noch notwendig und verhältnismäßig ist - aufgrund der jeweils aktuellen Situation und mit Blick auf die kommenden Wochen und Monate. Dafür wird eine Kommission aus medizinischen und juristischen Expertinnen und Experten eingesetzt, die in den nächsten Tagen ihre Arbeit aufnehmen wird."

SPÖ: "Vorschlag kam von Regierung"

Die SPÖ wies die Aussage Nehammers zurück, wonach sie die Lotterie über den ORF abwickeln wollte. "Der Vorschlag der Impflotterie mit dem ORF kam von der Regierung. Die SPÖ hat vorgeschlagen, dass die Impflotterie von ELGA und den Apotheken gemeinsam abgewickelt wird. Diesem Vorschlag haben die Regierungsfraktionen jedoch nicht zugestimmt und haben als Gegenvorschlag den ORF ins Spiel gebracht", hieß es in einer Aussendung. Die Aussagen von Nehammer seien "falsch".

Die Bundesländer informierten indes über die Einrichtung ihrer Online-Plattformen zur Impfpflicht-Befreiung, die am Montag online gehen. Da es der Bund nicht geschafft hat, eine solche einheitliche Plattform einzurichten, werden Anträge auf Befreiung von der Impfpflicht von den Bundesländern verwaltet.

Nehammer findet Gsindl-Aufregung "scheinheilig"

Auch zur Aufregung um die öffentlich gewordenen Chats von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), in denen sie die Roten als "Gsindl" bezeichnet, nimmt Nehammer Stellung: "Scheinheilig". Er macht zudem darauf aufmerksam, dass "der Satz aus gestohlenen Daten stammt, aus einer privaten Kommunikation von Handy zu Handy". "Da wird überhaupt nicht mehr differenziert. Dabei ist das ganze mittlerweile ein Kriminalfall."

"Gegen jene, die diese Daten ausgespielt haben, wird wegen Amtsmissbrauchs und Geheimnisverrats ermittelt, also keine Kleinigkeiten", so Nehammer.

Die Aufregung um den Inhalt der jüngst bekannt gewordenen Chats versteht Nehammer nicht ganz. "Es wäre gut für unsere politische Kultur, wenn wir mehr auf unsere Kommunikation achten würden", sagte Nehammer. Aber er findet "diese Diskussion ein Stück scheinheilig". Er erinnert "an die 'Gfraster' des Herrn Muchitsch (Sozialsprecher Josef, Anm.) oder die 'mieselsüchtigen Koffern' des Herrn Häupl (Ex-Bürgermeister Michael, Anm.), beide SPÖ, von der FPÖ will ich gar nicht reden. Aber bei uns ist jetzt große Aufregung", ärgert sich Nehammer.