Mir reicht’s. Ich sage das ohne besondere Emotion. Weder will ich mich aufregen noch will ich den Musterschüler des Sonderfalls herauskehren. Ich rede über meine Gefühle angesichts des Diskussionstohuwabohus, die neueste Pandemie betreffend.

Neulich traf ich einen guten Freund, der mir durch seine – wie heißt sie gleich? – FFP2-Atemschutzmaske hindurch schreiend versicherte, er könne mich nicht sehen, weil seine Brillen vom Dunst seines heißen Atems, der aus der Maske heraus auf die Brillengläser ströme, beschlagen würden, er praktisch zu temporärer Blindheit verurteilt sei. Ich will ihn schon fragen, wieso er mich erkannt habe. Und ob er mich nicht vielleicht mit einem anderen seiner Freunde verwechsle, falls ich, der ich in gebührendem eineinhalb Meter Abstand vor ihm stehe, eine FFP2-Maske im Gesicht, nicht überhaupt ein vollkommen Fremder sei?

Aber ich lasse es sein, denn schon schreit mein Freund durch seine Maske hindurch, dass es nicht einmal mehr möglich sei, sich wie „ein normaler Mensch“ verständlich zu machen, man müsse regelrecht schreien, nicht wahr? Ich möchte gerne widersprechen. Aber ich lasse es sein. Ich lüge meinem Freund, der sich anschickt, seinen mentalen Beschwerdezettel abzuarbeiten, ungeniert vor, ich müsste dringend weiter, weil ich einen Termin hätte …

Das wäre mir besser nicht eingefallen, denn jetzt dringt mein Freund auf mich ein – die eineinhalb Meter Abstand geraten gefährlich ins Wanken –, wieso und wo ich einen Termin haben könnte, mitten auf offener Straße, in diesen Zeiten, wo man einander höchstens an der Straßenbahnhaltestelle oder an sonst einem unwirtlichen Ort treffen kann. Also mache ich mich grußlos aus dem Staub, in der Hoffnung, dass mein Freund durch seine beschlagenen Brillengläser hindurch ohnehin nichts merkt. Ich höre ihn noch über Aerosole, Abwässer und Covid-19-Mutanten schimpfen, dann bin ich außer Reichweite.

Jetzt, auf dem Heimweg, den ich hoffentlich ohne standpunktäußerungsbedürftige Freunde oder Bekannte absolvieren kann, kommt mir der Titel eines Buches in den Sinn, das ich vor einiger Zeit publizierte: „Umdrehen und weggehen“. Und für den Fall, dass mir eine meiner Leserinnen über den Weg läuft, um mich – in gebührendem Abstand – bei meiner Philosophenehre zu packen und mir zu erklären, dass es unverantwortlich sei, so zu tun, als ob man sich „einfach“ umdrehen und vor Corona weggehen könne, das Virus sei überall, da dürfe man nicht den Kopf in den Sand stecken – für diesen Fall möchte ich meiner Leserin versichern, dass ich alle mir von der Regierung und den Experten auferlegten und empfohlenen Schutzrichtlinien einhalte (na ja, es kommt schon der eine oder andere Ausrutscher vor); meine Devise beziehe sich vielmehr auf den medialen und persönlich vielstimmigen Galimathias, mit dem unsereiner, schaut er in die Zeitung, hört er ins Radio, schaltet den Computer auf oder dreht den Fernseher an, überschüttet wird.

Was da tagtäglich an unterschiedlichsten Informationen, Fehlinformationen, Standpunkten, Expertenmeinungen, Politikerbeteuerungen, Kontroversen und Gegenkontroversen zu hören und zu sehen ist – also das bringt meine Neuronen unter meiner Schädeldecke regelrecht ins Dampfen. Alles verwirrt sich, es ist, als ob ich mich auf einem verrückt gewordenen Ringelspiel zur Ruhe betten wollte. Die Folge: migräneartiges Kopfweh, Übelkeit (mehr seelisch als vom Magen her) und das keimende Bedürfnis, einen Amoklauf zu riskieren, damit endlich wieder Ruhe ist.

Um all diesen Symptomen zu entgehen, bemühe ich mich – aber die Bilder von Menschentrauben im Eingangsbereich von Skiliften irritieren mich –, die Dinge zu nehmen, wie sie sind: unangenehm. Ich lebe im Lockdown, ein bisschen wie tief unter Wasser in einer Taucherglocke. Fast alle Gewerbebetriebe haben geschlossen, Gast- und Kaffeehäuser auch, die Straßen sind bisweilen gespenstisch leer, aber lange nicht so, wie sie es sein müssten, wenn ich an das Geheul meiner Mitleidenden denke, das eher Stephen Kings „Desperation“ zustünde. Urlaub zurzeit nicht möglich, Konzertbesuch nicht möglich, etc. pp.

Alle stöhnen, das ist wahr, es kann und wird noch schlimmer kommen, zumindest was die wirtschaftlichen Folgen betrifft. Auch mit der Anti-Corona-Impfung wird’s nicht so rasch gehen wie erhofft. Was noch? Ach ja, die geschlossenen Schulen, die Hörsäle an den Universitäten stehen leer. Und ja, in den Altersheimen wird mehr gestorben, und die Intensivstationen in den Spitälern sind immer am Rand ihrer Kapazitätsgrenzen. Das alles ist höchst betrüblich, unsere Regierung macht den einen oder anderen Fehler bei ihrer Anti-Corona-Politik, einige Bürgermeister haben sich impfen lassen, obwohl sie noch lange nicht dran waren (da wäre ich ja noch eher an der Reihe gewesen). Schweinerei!

Ja, also Schweinerei hin oder her, die Zustände sind nicht optimal, aber sie werden die Überwachungsmentalität der Scharfmacher hochkitzeln und zur Anarchie entarten, wenn meine lieben Mitmenschen hierorts nicht langsam anfangen, nicht jede Informationsfussel zu einem Riesenelefanten aufzublähen; wenn sie nicht aufhören, eine ganz andere Corona-Strategie zu fordern und die jetzt herrschenden Politiker zum Teufel wünschen. Immer mehr meiner lieben Mitmenschen sind jedenfalls der Meinung, so kann’s auf keinen Fall weitergehen.

Offen gesagt, ich habe dieses Durcheinanderschreien so satt, dass ich nicht einmal mehr fragen will: Wie soll es denn dann weitergehen, Herrschaften (die Damen eingeschlossen)? Kürzlich querte meinen Weg eine Horde sogenannter Querdenker, Idioten, die unsereinem am liebsten heiß ins Gesicht hauchen wollen. Anspucken wäre noch besser, nicht wahr? Sie jubeln den radikalen Vordenkern unserer Freiheitlichen Partei zu, wenn diese fordern – schon aus antiislamistischen Staatsschutzgründen –, auf alle Fälle keine Atemschutzmasken vorm Gesicht zu tragen (Wo sonst? Am besten nirgendwo!).

Angesichts solcher Turbulenzen empfehle ich: Umdrehen und weggehen, falls äußerlich unmöglich, wenigstens innerlich. Man muss bei diesem Affenzirkus rund um das Virus und seine Mutanten nicht mitmachen, es reicht, sich, gemäß dem Ratschlag der Experten, zu schützen. Recht behält nicht der, der am lautesten schreit, sondern jene, die das Debakel namens Corona heil überstehen, persönlich und familiär. Und das sind doch eher die Stillen im Lande, von denen man wenig sieht, weil sie sich von der Hysterie längst abgewendet haben.

Also: Drehen Sie sich um, gehen Sie weg von den Scharfmachern und Unruhestiftern, lesen Sie ein gutes Buch oder, noch besser, kuscheln Sie sich an Ihre – zum Kuscheln freigetesteten – Liebsten. Ein bissel was geht immer!

© Michaela Vretscher