Eine Krise ist ein Zustand, in dem man nicht mehr weiter weiß. Wir sagen uns in einem solchen Fall: Wie sollen wir unter diesen Umständen weiterleben können? Manche Krisen betreffen hauptsächlich einzelne Personen, andere Paare und Gruppen. Krisen können auch die ganze Menschheit erfassen.

Sie können durch einen Schicksalsschlag entstehen, katastrophal, oder sich langsam - quasi auf leisen Sohlen – in das Leben der Betroffenen hineinschleichen. In solchen Lebenssituationen sind immer Grundpfeiler unseres Lebens bedroht, wie etwa die Gesundheit, soziale Bindungen, die materielle Basis unseres Lebens.

Die unmittelbare Reaktion des Menschen auf Krisen ist Verzweiflung. Verzweiflung ist der Zweifel an der eigenen Existenz. Die daraus folgende Nervosität, die innere Unruhe und die kreisenden Gedanken strengen uns an. Wir kommen nicht mehr zur Ruhe.

Die Zukunftssorge, eine Art Angst, ist nicht selten das zentrale Element des krisenhaften Geschehens. Aus der Betrachtung der Gegenwart formen wir normalerweise unsere Zukunft. Genau das scheint in der Krise nicht verlässlich möglich zu sein. Davor fürchten wir uns. Es ist nicht leicht dauerhaft mit einer Angst zu leben. Das genau erzeugt die Unruhe und den Stress. Gelassenheit ist gefragt …!

Ängste sind Hinweise auf eine Gefahr. Sie dienen dazu, uns einfallen zu lassen, wie wir uns schützen könnten. Es gibt eine Unzahl von angstbedingten Schutzmustern. Bekannt ist die Trias Flüchten, Angreifen und Totstellen. Eigentlich müssten die Ängste weg sein, wenn das Schutzmuster funktioniert. Wenn es jedoch kein adäquater Schutz, keine wirksame Vermeidung zu erreichen ist, und genau das ist der Fall, wenn wir in eine wirkliche Krise geraten, dann müssten wir - theoretisch – die Bedrohung als unvermeidbare Tatsache anerkennen und dem Risiko mit Unbehagen, jedoch angstfrei ins Auge blicken können.

Leider sind wir jedoch in einem solchen Fall mittels des nützlichen, aber nicht hinreichenden Vermeidungsverhaltens gleichsam auf Gedeih und Verderb mit der Bedrohung verbunden und werden damit immer daran erinnert. Daher haben viele Menschen, die als Antwort auf die Krise ihre Angst generalisiert haben und folglich ein vermeidendes Leben optimieren mehr Angst als andere, die sich von den Ängsten informieren lassen, darauf so gut wie möglich reagieren und ansonsten „den lieben Gott einen guten Mann sein lassen“.

Es gibt typische Phänomene, die man besonders deutlich in Krisen beobachten kann. So neigen wir besonders dann zu Meinungen, wenn wir eigentlich gar keine haben könnten, wenn wir das Dilemma anerkennen sollten. Meinungen sind daher nicht das, was sie vermeintlich sind: eine Bewertung der Wirklichkeit der Welt. Vielmehr sind sie eher eine Selbstdefinition, die im Mäntelchen der Objektivierung daherkommt. Meinungen sind das Subjektive, das objektiv maskiert ist. Wir versuchen damit aus dem Schlamassel der Orientierungslosigkeit zu entkommen. Meinungen sind eine Zumutung. Das ist das, was wirklich anstrengt. Es beginnt in der Politik und endet am Biertisch.

Verschwörungstheorien sind Angstbewältigungsstrategien, die eine wahnhafte Verstrickung eigener Meinungen darstellen, die sich durch eine Einengung der Wahrnehmung selbst bestätigen. „Die guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen!“. Sie sind ein paranoides Phänomen, das in Krisen aller Art „fröhliche Urstände feiert“. Leider sind sie der Inbegriff einer Lösung, die sich selbst als Problem entpuppt. Der paranoide Mensch ist immens bedroht und erzeugt die Angst, die er bewältigen möchte im Übermaß selbst. Da Ängste Menschen steuern können, entsteht in Zeiten von Krise eine Konkurrenz, wer die besseren Ängste anbieten kann.

Aber man kann auch konstruktiv mit Krisensituationen umgehen. Gelassenheit ist möglich, es gibt keine Ausrede. Sie ist die Kunst, sich selbst in Ruhe zu lassen. Solche Menschen geben sich in ihrer Lebensgestaltung damit zufrieden, im Leben das Beste zu geben. Obwohl das logisch ist, weil wir ja gar nicht mehr als das tun können, wollen dennoch viele Menschen im Leben mehr bewirken als in ihrer Macht steht. Ich kann zum Beispiel gesund leben und, wenn ich trotzdem krank werde, allenfalls ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Wenn ich das einsehe, werde ich - ungeachtet der Möglichkeit zu erkranken - gelassen und angstfrei mit dem guten Gefühl meiner Selbstverantwortung entsprochen zu haben durchs Leben gehen. Wenn ich dennoch überdies hinaus unbedingt, „dringend“ gesund bleiben und keinesfalls jemals sterben will, dann werde ich innerlich unruhig sein. Ich lass mich dann nicht in Ruhe.

Auch wenn wir in Krisen vor den Trümmern unserer Hoffnungen stehen, besteht die Möglichkeit zur Zuversicht. Hoffnungen sind Zukunftsperspektiven, die jeder Mensch braucht. Sie lassen uns unser eigenes Leben planen und verleihen unserem Leben scheinbar Sinn. Doch sind Hoffnungen meist sehr trügerisch. Denn sie verheißen fast immer etwas anderes, als dann eintritt. Manch junger Mensch ist total verzweifelt, wenn sein Liebeswerben auf taube Ohren stößt.

Wenn er dann später im Leben wieder das Objekt seiner früheren Sehnsüchte trifft, kann es sein, dass er dem Leben dankbar ist, dass dieser Kelch an ihm vorübergegangen ist. Natürlich kann es sich auch anders verhalten. Dennoch: Hoffnungen werden überbewertet. Auch die Hoffnungslosigkeit wird überbewertet. Denn mit ein wenig Lebenserfahrung wissen wir: „Immer wenn du meinst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Jede neue Lebenssituation bietet Möglichkeiten, die in anderen weder ahnbar, geschweige denn sichtbar waren. Daher sollten wir uns eher auf die Zuversicht konzentrieren. Diese ist ein innerer Zustand, der von einer übergeordneten Geborgenheit im Leben ausgeht: Es wird alles gut! Zuversicht ist, wenn man so will, die einzige Hoffnung, die sich immer erfüllt, wenn man sie zulässt: Die Hoffnung, dass jenseits des Lebens, das sich so nicht mehr weiterführen lässt, wieder das Leben wartet. Das ist die Einsicht derer, die ihre Krisen bewältigt haben.

Was brauchen wir in Krisen am Notwendigsten? Wir brauchen den Zusammenhalt, wir brauchen Bindung. Die Psychologie und die Neurobiologie informieren uns, dass Bindung eine Erfahrung ist, die die Kreativität und die Zuversicht auch in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht nur erhält, sondern stärkt. Bindung ist das wichtigste unserer Grundbedürfnisse. Daher ist nicht selten alles erfüllt, wenn wir uns nur gebunden wissen. Bindung erzeugt Vollkommenheit inmitten des Unvollkommenen. Miteinander können wir alles bewältigen.

Das ist nicht nur eine Binsenweisheit, sondern eine wissenschaftlich belegbare Einsicht, die uns den Weg aus den Krisen unseres Lebens weisen kann. Leider neigen wir gerade in Krisen dazu, nicht miteinander zu reden, uns gegenseitig zu übersehen und nicht zu würdigen. Die Kommunikation wird missverständlich und lieblos. Das kennen die meisten von uns aus Familien- und Paarkonflikten. Wenn es wirklich darum ginge, miteinander zu reden, geraten die Gespräche zu Monologen zu zweit, reden wir übereinander statt miteinander. Es geht darum, zu einer gemeinsamen Wirklichkeit zu kommen, wenn wir uns in einer Krise befinden, damit wir das Potenzial des Gemeinsamen heben können. Stattdessen neigen wir dazu siebengescheit zu werden, rechthaberisch, eigensinnig. Das ist eine größere Gefahr als die Krise selbst. In einem solchen Fall gibt es nur falsche Positionen, auch wenn sie noch so richtig sein mögen, denn sie berauben uns des größten Wertes, den wir zu Konfliktbewältigung haben können: Dass wir füreinander da sind und dass wir einander haben.