Ich höre oft die Aussage, wenn ich ein Leben führen müsste wie du, an einem Schlauch hängen, sich nicht mehr bewegen können, dann würde ich dieses Leben nicht mehr weiterführen wollen. Es heißt dann: „Versteh mich nicht falsch, ich bewundere dich, aber in deiner Situation könnte ich nicht sein, da wäre ich lieber tot.“

Ich führe ein Leben an einem Beatmungsschlauch, durch den ich 24 Stunden Luft bekomme. Und es ist ein gutes Leben, das ich führe.

Es war meine freie Entscheidung, trotz Lähmung meiner Atmungsmuskulatur weiterzuleben. Aber es war keine einfache. Nach einer schweren Gesundheitskrise 2006 erwachte ich nach drei Wochen Tiefschlaf mit einer Atemkanüle im Hals. Ich war jetzt von einem Beatmungsgerät abhängig und hatte Angst, zu ersticken, wurde künstlich ernährt und musste erst wieder sprechen und essen lernen.

"Meine damalige Entscheidung war goldrichtig"

Ich muss gestehen, dass ich mir vor 20 Jahren nur sehr schwer ein solches Leben hätte vorstellen können.

Ich habe zuvor in einer Patientenverfügung festgelegt, dass ich weiterleben möchte und dass alle medizinischen Möglichkeiten dafür genutzt werden sollten. Alle diese medizinischen Eingriffe hätte ich auch ablehnen können und man hatte mir ein Sterben ohne Erstickungsängste und Schmerzen zugesagt. Heute weiß ich, dass meine damalige Entscheidung goldrichtig war. Ich führe heute ein glückliches Leben bei meiner Familie, werde von persönlichen AssistentInnen unterstützt und kann einem Beruf nachgehen.

Ich verstehe alle, die sagen: „So ein Leben könnte ich mir nicht vorstellen.“ Aber glauben Sie mir, in der Situation sieht man es oft anders. Die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist größer, als man es selbst oft erwartet.

Ist Sterbehilfe einmal eingeführt, steigen die Zahlen

Natürlich hat die sogenannte Apparatemedizin auch eine negative Seite. Vor allem in Krankenhäusern werden PatientInnen immer wieder gegen ihren Willen am Leben erhalten. Hier braucht es Bewusstsein, einerseits bei den ÄrztInnen, aber andererseits auch in der Bevölkerung, was eine PatientInnenverfügung und eine Vorsorgevollmacht sind. Jede lebenserhaltende Therapie, zu der auch die künstliche Ernährung zählt, kann man ablehnen.

Ist Sterbehilfe einmal für Ausnahmefälle eingeführt, steigt die Zahl der assistierten Suizide immer mehr. Die Sterbehilfefälle haben sich in Belgien, seit die entsprechenden Gesetze in Kraft sind, dramatisch verzehnfacht.

In Belgien wird Sterbehilfe auch für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörungen oder für Demenz gewährt. In den Niederlanden, wo bereits auch Euthanasie bei Minderjährigen und Demenzerkrankten praktiziert wird, ist die Zahl der assistierten Suizide seit der Einführung 2002 mit 1882 Fällen auf 6585 im Jahr 2017 gestiegen. Sterbe- und Suizidhilfe machen mittlerweile 4,5 Prozent aller Todesfälle aus, während der Anteil 2002 noch bei 1,32 Prozent lag.

Aktive Sterbehilfe tötet die Armen

2013 wurden in den Niederlanden 650 Babys durch aktive Sterbehilfe getötet. Die Hälfte der betroffenen älteren Menschen hatte einen niedrigeren sozioökonomischen Status. Das ist ein erschreckender Befund, denn im Klartext heißt es, die aktive Sterbehilfe tötet die Armen, da sie einen schlechteren Zugang zu Therapien und Hilfen oder Betreuungsplätzen haben.

Die Euthanasiegesetzgebung übt Druckaufbehinderte und ältere Menschen aus. Diese müssen sich dann rechtfertigen, überhaupt am Leben zu sein, Pflege in Anspruch zu nehmen oder den Angehörigen noch weiter „zur Last“ zu fallen. Und wer wird für jene entscheiden, die nicht mehr selbst entscheiden können?

In der Debatte um die aktive Sterbehilfe wird auch argumentiert, dass eine Zulassung in der Liberalisierung unserer Gesellschaft und in Anerkennung der verschiedenen Lebensentwürfe und Haltungen der logisch nächste Schritt sei. Es wird auf andere Länder verwiesen, die hier schon wesentlich „weiter“ wären. Dem ist entschieden entgegenzutreten.

Würdevoller Umgang mit Sterbenskranken

Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich ermöglichen heute schon einen würdevollen Umgang mit dem Leid von sterbenskranken Menschen. Unter anderem hat Professor Watzke, Leiter der Palliativmedizin im Wiener AKH, dargelegt, dass wir in Österreich Schmerztherapien zur Verfügung haben, mit denen Schmerzen am Lebensende umfassend sehr gut palliativmedizinisch behandelt werden können. Niemand muss heute mehr beim Sterben Schmerzen haben.

Wenn es um das Recht auf Leben geht, braucht es Klarheit für die Verhältnisse zwischen PatientInnen und ÄrztInnen, zwischen Gepflegten und Pflegenden, zwischen jenen in Not und jenen, die diese Not noch nicht erfahren haben.

Das Argument, dass hier der Autonomie des Einzelnen der Vorrang vor dem Schutz des Rechts auf Leben zu gewähren ist, ist nur vordergründig liberal. Wir müssen uns klar sein, dass kein Mensch völlig autonom lebt und wir uns – auch in der Entscheidungsfindung – gegenseitig beeinflussen. Durch soziale oder psychische Zwänge, sogenannte rationale Argumente, bis hin zu „Kalkulationen“ von Angehörigen oder der Gesellschaft entsteht Druck, welcher die Entscheidung des Einzelnen untergräbt. Gehen wir nicht in die Falle einer falsch verstandenen Liberalität.

Leben muss sich dann rechtfertigen

Das Recht auf Autonomie des Einzelnen untergräbt nämlich in weiterer Folge das autonome Sterben des anderen. Denn durch die Auflösung des Schutzes auf Leben muss sich der Einzelne rechtfertigen, überhaupt noch am Leben bleiben zu wollen.

Der Wunsch zu sterben gehört zum Leben dazu. Er hängt meistens mit Perspektivlosigkeit, Schmerzen und Einsamkeit zusammen und muss daher als Hilferuf für eine Verbesserung der Lebenssituation verstanden werden, auf den wir anders reagieren müssen als mit einer aktiven Sterbehilfe: mit Zuneigung, Trost und Nächstenliebe sowie mit Therapie und palliativmedizinischer Betreuung. Es braucht eine Kultur des Beistandes, der Trauer und des Abschieds, um ein Leben bis zuletzt in Würde zu gewährleisten. Sich auf diese Weise mit dem Sterben auseinanderzusetzen, macht eine Gesellschaft resistenter und resilienter.

Vereine, die Beihilfe zum Suizid anbieten, verfolgen natürlich auch starke wirtschaftliche Interessen. Die Schweizer Sterbehilfevereine Dignitas und Exit erzielen laut Schweizer Medienberichten einen Jahresumsatz von 10 Millionen Schweizer Franken. Wo es um Themen wie Leben und Tod geht, haben wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten und Prozesse nichts verloren.

Nicht alles Machbare ist nachahmenswert

Das Spiel von Angebot und Nachfrage, die Käuflichkeit von Dienstleistungen, Konsumentenschutz und Wettbewerbsregelungen, Kosten-Nutzen-Überlegungen etc. sind keine geeigneten Spielregeln für die Unterstützung von Menschen in existenziellen Lebensfragen und Notsituationen. Hier ist stattdessen humanitäres Denken gefragt. Die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht sind die richtigen Ansatzpunkte, um die Selbstbestimmtheit der Menschen in medizinischen Belangen sicherzustellen. Sie sollten weiterentwickelt und vor allem auch umfassend umgesetzt werden.

Österreich muss in dieser Frage den eigenen Weg weitergehen und die Palliativ- und Hospizbetreuung konsequent weiter ausbauen und Patientenverfügungen sowie Vorsorgevollmacht verbessern.
Nicht alles, was machbar ist und andere Länder praktizieren, ist nachahmenswert. Siehe auch die Ablehnung von Kernkraft in Österreich.

Bekämpft die Einsamkeit, den Schmerz und die Not der Sterbenden, aber tötet sie nicht. Menschen sollten nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen Menschen sterben, wie es Kardinal Franz König bereits vor vielen Jahren formuliert hat.