Frau Ministerin Zadic, die Justiz liefert seit Wochen Schlagzeilen, die an ihrem Ansehen kratzen – durch den Konflikt zwischen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft einerseits, der Oberstaatsanwaltschaft Wien und der Soko Ibiza andererseits. Wäre es nicht an der Zeit, dass die Justizministerin ein- und durchgreift?

Alma Zadic: Mir ist extrem wichtig, dass die Justiz an einem Strang zieht. Im letzten Jahr hat mein Amtsvorgänger eine Mediation angeregt und versucht, das beschädigte Vertrauen wiederherzustellen. Wir führen Gespräche mit allen Beteiligten, weil es wichtig ist, dass die Behörden vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Soviel ich weiß, ist das Verhältnis nun besser als noch im Sommer letzten Jahres.

Wäre nicht ein schärferes Eingreifen der Ministerin gefragt?

Als Justizministerin möchte ich den Rahmen dafür schaffen, dass alle Beteiligten in der Justiz gut zusammenarbeiten können. Es gibt eben immer wieder Sachen vom letzten Jahr, die im Untersuchungsausschuss landen und jetzt hochkommen. Aber ich werde Schritt für Schritt das Notwendige tun.

Hinter den Konflikten stehen ja Interessen. SPÖ und Neos stellen das so dar, dass die ÖVP versucht, alle Korruptionsuntersuchungen, in denen Leute von ihr betroffen sind, zu bremsen. Irrt sich die Opposition, oder entsteht auch bei Ihnen dieser Eindruck?

In der Justiz gibt es weder türkise noch rote Netzwerke. Die Justiz ist unparteiisch. Was aber Fakt ist, und dieser Kritik müssen wir uns stellen, dass gerade große, komplexe Verfahren, in die Wirtschaft und Politik involviert sind, zum Teil lange gedauert haben.

Wie schaut es übrigens mit Ihrer Weisungspraxis aus – sind Sie der Meinung, ein Minister muss Weisungen geben, oder geben Sie gar keine Weisungen?

Für mich ist wichtig, dass die Staatsanwaltschaft unbeeinflusst arbeiten kann. Das heißt auch, dass die politische Spitze sich nicht in Verfahren einmischen soll.

Das heißt also, das Weisungsrecht abschaffen?

Das Weisungsrecht ist verfassungsmäßig gesetzt. Aber es ist eine langjährige grüne Forderung, einen unabhängigen Generalstaatsanwalt ins Leben zu rufen. Dafür braucht man eine Verfassungsmehrheit, die gibt es derzeit nicht.

Aber Sie können es doch versuchen ...

Was wir jetzt machen, das ist auch im Regierungsprogramm festgelegt, ist, zum einen die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft zu stärken, zum anderen die Berichtspflichten, die die Arbeit der Staatsanwaltschaft verzögern können, zu reduzieren. An beiden Punkten sind wir dran. Hier wird es bald die ersten Vorschläge geben.

Kennen Sie das Ibiza-Video?

Nein, ich kenne es nicht. Es ist der Staatsanwaltschaft als Rohfassung und als Abschrift geliefert worden.

Und Sie interessiert das nicht, sich das anzusehen?

Ich werde sicher nicht in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eingreifen. Deswegen brauche ich dieses Video auch nicht zu sehen.

Dennoch haben Sie gesagt, es wird nicht das gesamte Video dem U-Ausschuss übergeben, da nicht das gesamte Material abstrakt relevant sei. Woher können Sie das dann wissen?

Da wurde missverständlich zitiert. Ich habe klargestellt, dass die Staatsanwaltschaft prüft, ob das Video abstrakt relevant ist.

Es kann also durchaus sein, dass nach dieser Prüfung das gesamte Video geliefert wird?

Ja, das kann absolut sein. Das obliegt der Staatsanwaltschaft, ich werde mich dort sicher nicht einmischen.

Warum gibt man nicht das gesamte Video einfach ohne Prüfung weiter?

Die Staatsanwaltschaften dürfen nur liefern, was abstrakt relevant ist, ansonsten könnten Persönlichkeitsrechte verletzt werden und Haftungsfragen entstehen. Außerdem ist zu prüfen, ob die Weitergabe die Ermittlungen gefährdet.

Im Grasser-Prozess ist demnächst der 150. Verhandlungstag. Wie sehr freut Sie das, dass manche Verfahren so lange dauern?

Die lange Dauer komplexer Verfahren bereitet mir selbstverständlich Sorge, ich will mich dessen auch annehmen. Wir werden die Staatsanwaltschaften aufstocken, denn es kann nicht sein, dass – wie zum Beispiel im Eurofighter-Verfahren – jahrelang ein Staatsanwalt an diesem sehr komplexen Verfahren alleine arbeitet.

Soll es ein Recht auf Verfahrensende geben, wenn es einer Anklagebehörde nicht gelingt, in angemessener Frist einen Beschuldigten zu überführen?

Es gibt eine ähnliche Bestimmung im Strafprozessrecht, da wird das Ermittlungsverfahren auf drei Jahre beschränkt, dann prüft das Gericht, ob man mehr Zeit braucht. Aus meiner Sicht ist das ausreichend.

Aber ist das zumutbar, dass sich Angeklagte monate- und jahrelang in den Gerichtssaal setzen müssen? Ist das noch zeitgemäß?

Es ist das gute Recht eines Beschuldigten, alle Möglichkeiten zu ergreifen, die es gibt. Diese Möglichkeit möchte ich niemandem nehmen. Wir wollen aber demnächst das Hauptverfahren und das Rechtsmittelverfahrenreformieren. Das sind große legistische Unterfangen.

In anderen Ländern ist es verboten, Inhalte aus Ermittlungsakten zu veröffentlichen. Gibt es Überlegungen, auch in Österreich so ein Verbot zu schaffen?

Ich halte so eine Bestimmung nicht für sinnvoll. In Deutschland werden trotz diesem Verbot Aktenteile abgeschrieben. Ich werde aber zumindest in meiner Sphäre im Justizministerium alles dafür tun, dass aus diesem Bereich nichts an die Öffentlichkeit kommt. Deshalb will ich die Digitalisierung vorantreiben. Wir planen, bis Mitte nächsten Jahres den voll digitalisierten Strafakt zu haben. Denn dann gibt es Zugriffsprotokolle und man sieht genau, wer was ausgedruckt hat. Was ich nicht verhindern kann, ist, dass die Verfahrensbeteiligten, die Akteneinsicht haben, dann Inhalte weitergeben.

Man hat den Eindruck, es werden immer öfter Klagen eingebracht als Druckmittel in der Politik. Sehen Sie das auch so?

Jeder, der das Gefühl hat, es passiert Unrecht, soll die Möglichkeit haben, das anzuzeigen. Seitens der Justiz versuchen wir, den Eingang von Anzeigen nur zurückhaltend zu bestätigen. Oft geben aber die Anzeiger selber den Fall öffentlich bekannt. Dass jemand angezeigt ist, heißt noch lange nicht, dass er verdächtig ist oder als Beschuldigter geführt wird. Da müssen wir eine Sensibilisierung schaffen.

Sie sagten einst, Sie seien in die Politik gegangen, um eine progressive Integrationspolitik voranzutreiben. Soll Österreich freiwillig Asylsuchende von den griechischen Inseln aufnehmen?

Ja, das habe ich schon mehrfach gesagt. Die Grünen sind dafür, dass wir Flüchtlinge aufnehmen, insbesondere Kinder. Dafür braucht es aber eine Mehrheit, und die gibt es nicht.

Sie akzeptieren, dass der Koalitionspartner da anders denkt?

Ich akzeptiere das nicht, es macht mich betroffen. Deshalb versuche ich, das zu ändern.

Bei vielen Themen ist das so. Ist das nicht ein Resignieren und eine Selbstaufgabe der Grünen?

Es ist ein Privileg, gestalten zu können. Wir haben im Regierungsprogramm viele Punkte, die ein Verfolgen unserer politischen Ziele erlauben.