Internationale Zeitungen befassen sich am Freitag mit der türkis-grünen Regierungsbildung in Wien und ihren Auswirkungen über die Grenzen Österreichs hinaus.

"De Standaard" (Brüssel):

"Es geht also doch. Wenn sie es wollen, sind politische Parteien in der Lage, über ihren Schatten zu springen. Wenn die Bereitschaft auf beiden Seiten groß genug ist, können Parteien, die auf dem Papier Gegenpole sind, gemeinsam eine Regierung bilden. Wenn die Interessen des Landes Vorrang bekommen vor den Interessen der Partei, können pragmatische Erwägungen sich gegen ideologische Scharfmacherei durchsetzen.

Dass dies möglich ist, haben Sebastian Kurz und Werner Kogler in Österreich bewiesen. Die Konservativen und die Grünen bilden gemeinsam eine Regierung. Nicht weil ihre Programme gut zusammenpassen, sondern weil es nicht anders geht. Sie haben das Beste daraus gemacht, indem sie sich gegenseitig einige wichtige Erfolge gegönnt und zugleich einige ihrer Tabus aufgegeben haben."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen den seit Jahrzehnten staatstragenden Konservativen und den relativ jungen, ebenso erfrischend wie zuweilen chaotisch auftretenden Grünen groß. Sie zu überwinden - das räumen sowohl der zukünftige Regierungschef Sebastian Kurz als auch sein grüner Vizekanzler Werner Kogler ein - fiel nicht leicht. Es gelang, dank viel Disziplin, Pragmatismus und Arbeitsteilung. (...)

Bringt die neue Truppe das Land voran, werden die Konservativen ihre Hegemonie im rechten Lager behalten und die Grünen ihre Position auf Kosten der kriselnden Sozialdemokraten ausbauen. Sind Kurz und Kogler erfolgreich, können sie über die Landesgrenzen hinaus zu einem Vorbild werden. Gerade die Deutschen blicken genau auf die österreichischen Pioniere, wenn sie über die Zeit nach Merkel diskutieren."

"Corriere della Sera" (Mailand):

"Wenn die Wiener Wette ein Erfolg wird, gäbe es viele Gewinner. Nicht nur Kurz, der beweisen kann, dass er nicht nur ein Meister der Taktik ist, einer der sehr gut in der Lage ist, herrschende Stimmungen einzufangen. Nicht nur Kogler, der die Grünen zu einer verantwortungsvollen und stabilisierenden Kraft in der österreichischen Szene geformt haben wird. Sondern auch die gesamte europäische Politik, die in Wien eine Blaupause für die Zukunft haben wird. An erster Stelle wird Deutschland von dem Experiment profitieren, wo ein Bündnis der CDU mit den Grünen ein fast zwangsläufiges Szenario für die neue Phase darstellt, die mit Angela Merkels Abschied von der Szene beginnen wird."

"Dagens Nyheter" (Stockholm):

"Die Lehre von Wien ist, dass es keine gute Idee ist, mit Rechtsnationalisten und Populisten gemeinsame Sache zu machen. (...) Erstens: Parteien vom politischen Rand müssen entradikalisiert werden, bevor man ihnen Macht und Ministerposten gibt. Man kann nicht darauf vertrauen, dass sie sich in der politischen Wärme in Gute verwandeln. (...) Zweitens: Der Einzug des Populismus erschwert die Bildung traditioneller konservativ-sozialdemokratischer Mehrheiten. Wenn man verantwortungsvolle und handlungskräftige Regierungen bilden will und sich nicht von Extremen in Geiselhaft nehmen lassen, dann ist es klug - wie im Fall der ÖVP und der Grünen - die Mauern, die durch die politische Mitte verlaufen, niederzureißen. Und zum Schluss: In fragmentierten politischen Landschaften geht es beim Bilden einer Regierung mehr darum, die am wenigsten schlechte Lösung zu finden. Und wenn bürgerliche Parteien sich mit Rechtsextremen ins Bett legen, neigen sie dazu, deren Farbe anzunehmen."

"Vecer" (Marburg):

"Obwohl die Zustimmung für das Regierungsprogramm bei dem Bundeskongress der Grünen eine Formalität sein soll, könnten die Grünen unvorhersehbar sein. Es wird bestimmt eine heftige Debatte geben. Zumindest über einen Programmpunkt, nämlich über die Sicherungsverwahrung für potenzielle Gefährder. (...) Es ist überflüssig zu warnen, dass eine solche Maßnahme dem Ziel einer sichereren Gesellschaft völlig zuwider laufen kann. (...) Sie ist wegen des scharfen Widerstands der ÖVP gegenüber Flüchtlingen und Migranten vorgesehen. (...) Kurz hatte die Volkspartei vor den vorgezogenen Wahlen 2017 von schwarz auf türkis umgefärbt. Heute schimmert durch den frischen Farbanstrich nicht nur die alte, schwarze Farbe, sondern auch das Blau des früheren Koalitionspartners, dessen Ibiza-Affäre im Mai die erste Kurz-Regierung gestürzt hat. Also Türkis-Blau und nicht Türkis-Grün, wie man erwartet hätte."

"Delo" (Laibach):

"Manche Analytiker zweifeln an der Stabilität der Koalition, weil die Grünen, unter denen es viele Gegner der Anti-Migrationspolitik von Kurz gibt, viele Kompromisse eingehen mussten. Andere meinen wiederum, dass die Regierung beständig sein wird, weil die Grünen die Hebel bekommen haben, um die Umwelt-, Transport-, Infrastruktur- und Energiepolitik des Landes zu gestalten - all das, um bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen - die Schlüsselpriorität der Regierung. Den Grünen wurde auch die Sozialpolitik, Kultur und Justiz überlassen. Andere staatsbildende Ressorts, wie Verteidigung, Inneres und Außenpolitik werden allerdings Politiker der Volkspartei übernehmen, die auch das größte Interesse daran haben, die Macht über Sicherheit und den Kampf gegen illegale Migrationen beizubehalten."