Unter dem Titel "Junge Menschen mit muslimischer Prägung in Wien. Zugehörigkeiten, Einstellungen und Abwertungen" befragten die Forschungsinstitute think.difference und SORA unter der Leitung von Kenan Güngör mehr als 700 Jugendliche mit afghanischem, syrischem, tschetschenischem, kurdischem, türkischem und bosnischem Migrationshintergrund sowie ohne Migrationshintergrund in Wien.

Das Ziel der vom Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Auftrag gegebenen Untersuchung sei es, Erkenntnisse über Identifikation, demokratische Grundhaltungen sowie abwertende und gewaltlegitimierende Einstellungen bei Jugendlichen zu gewinnen. 

Die Ergebnisse der Befragung zeigen demnach, dass die familiäre Sozialisierung und das soziale Umfeld genauso wie die aktuelle psychische Verfassung und starke Orientierung am Islam Einfluss auf demokratieablehnende sowie abwertende Grundhaltungen haben.

Im ORF sagt Güngör, dass man bei den Eltern ansetzen müsse, um Veränderungen zu forcieren: "Das muss uns ein Hebel sein, denn die Jugendlichen können nichts dafür, in welcher Familie sie auf die Welt gekommen sind. Wir müssen intensiv mit den Eltern arbeiten. Das ist – integrationspolitisch gesprochen – der Bereich, wo wir am schlechtesten aufgestellt sind." 

Martina Zandonella vom Institut SORA bentont, dass "die Zustimmung zur Demokratie insgesamt hoch ist. Sie fällt geringer aus bei den jungen Menschen aus Afghanistan, Syrien und Tschetschenien."

Religion demokratiefeindlich

Jugendliche mit afghanischem, syrischem und tschetschenischem Migrationshintergrund kommen häufiger aus Familien, die an strengen Rollenbildern und Regeln ausgerichtet sowie von festen Traditionen geprägt sind. Auch autoritäre Prägungen aus dem Herkunftsland der Eltern haben indirekten Einfluss auf die Einstellungen der Jugendlichen. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer sinken jedoch antidemokratische und abwertende Grundhaltungen.

Afghanische Jugendliche geben am häufigsten an, Gewalt innerhalb der eigenen Familie erlebt zu haben (43 %). Zustimmung zu Respekt vor Ordnung und Gesetzen liegt bei allen Gruppen bei mehr als 80 bis 100 Prozent. Unter Jugendlichen aus Tschetschenien ist der Wert mit 84 Prozent am geringsten. Ein Großteil der befragten jungen Menschen lehnt Gewalt ab. Eine Ausnahme bildet auch hier die Gruppe der Afghanen: Etwas mehr als die Hälfte der befragten Jugendlichen aus Afghanistan erachten Gewalt als legitimes Mittel zur Herstellung von Ehre und Respekt in Hinblick auf die eigene Person oder Religion. 

Religion spielt im Leben von jungen Muslimen – mit Ausnahme von Jugendlichen mit kurdischem Migrationshintergrund – eine größere Rolle als bei Nicht-Muslimen. Die stärkste Orientierung am Islam weisen Jugendliche aus Afghanistan (72%) sowie aus Syrien und Tschetschenien (je 69%) aus. Zum Verhältnis von Religion und Staat befragt, geben mehr als die Hälfte (55%) der afghanischen Jugendlichen an, dass Vorschriften des Islam über den Gesetzen Österreichs stehen, knapp die Hälfte (47%) will einen religiösen Gelehrten an der Spitze des Staates sehen. Wenn Religion eine übergeordnete Rolle spielt, ist auch die Einstellung zu Demokratie negativer. 

Rollenbilder und Homophobie

Die Hälfte der jungen Afghanen und Syrer sowie vier von zehn Jugendlichen mit tschetschenischem oder türkischem Migrationshintergrund lehnen Homosexualität ab. Religiös konnotierter Antisemitismus in der Form, dass Israel als Feind der Muslimen gesehen wird, zeigt sich bei zwei Dritteln der Afghanen, vier von zehn syrischen und türkischen Jugendlichen sowie jedem dritten Jugendlichen mit tschetschenischem und bosnischem Migrationshintergrund.

Das Verhältnis von Mann und Frau wird vielfach in traditionellen Rollenbildern gesehen: Drei Viertel der Jugendlichen aus Afghanistan finden, dass der Mann für alle größeren Entscheidungen zuständig sein sollte. 76 Prozent der bosnischen und 61 Prozent der türkischen Jugendlichen findet es außerdem peinlich, wenn der Mann weniger Geld verdient als die Frau. Unter den befragten Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sind Abwertungen gegenüber Muslimen am häufigsten verbreitet.