Sie gehören bei den Sondierungsverhandlungen zum grünen Kernteam. Wir wollen mit einer provokanten Frage beginnen, weil sie dem skeptischen Flügel zuzurechnen sind. Befürchten Sie, dass aus den Sondierungsgesprächen eine Regierung hervorgeht?

BIRGIT HEBEIN: Ernsthafte Gespräche zu führen, ist eine Frage der Verantwortung. Wir sind mittendrin und entscheiden Ende nächster Woche, ob’s ausreicht, um in Koalitionsverhandlungen einzutreten oder nicht. Wir tragen nicht nur Verantwortung für über 660.000 Wählerinnen. Wir sind mit dem Thema Klimaschutz angetreten, und das schaffen wir nur über Parteigrenzen hinweg, mit Bündnispartnern aus der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft. Ich bin unglaublich viel unterwegs, heute zum Beispiel wieder in der U-Bahn. Die Erwartungen, die an mich herangetragen werden, sind hoch.

Was hören Sie in der U-Bahn?

HEBEIN: Dass man es gut findet, dass wir es ernsthaft probieren. Das unterstützen die Leute, egal wo ich hinkomme. Die sagen, dafür haben wir euch gewählt.

Ihr Gegenüber heißt Kurz, der ein Feindbild der grünen Basis ist. Erschwert es die Gespräche?

HEBEIN: Sobald man ernsthafte Gespräche führt, geht es nicht ums Trennende, sondern um die Suche nach dem Gemeinsamen. Die Gespräche verlaufen durchwegs positiv. Es ist wie im richtigen Leben: Wenn man Menschen begegnet, verändern sich die Bilder im Kopf.

Haben Sie Ihre Meinung über Sebastian Kurz geändert?

HEBEIN: Ja, so ist es im Leben.

Wie nehmen Sie ihn jetzt wahr?

HEBEIN: Wenn wir ausmachen, dass wir nicht über die Details der Sondierungen reden, gilt es. Da gilt für mich Handschlagqualität.

Sie und Sebastian Kurz hatten oft sehr konträre Ansichten. Sie standen am Westbahnhof, als er versucht hat, die Balkanroute zu schließen. Bei der Mindestsicherung prallten Welten aufeinander.

HEBEIN: Gerade weil wir wissen, wie weit wir auseinander liegen, geht es darum, das Gemeinsame zu finden. Wo ist die Verbindung zwischen Wirtschaft und Nachhaltigkeit? Auch wenn es unterschiedliche Vorstellungen gibt, was Heimat bzw. Zuhause bedeutet, so ist das Gefühl dahinter dasselbe: das Gefühl der Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit und Sicherheit. Das ist für mich die Frage der Demokratie: Ist es möglich, eine Brücke zu bauen? Ich kann Ihnen noch nicht sagen, ob es sich ausgeht.

Nimmt man die Programmatik von Grünen und ÖVP zur Hand, die Überschneidungen muss man erst mit der Lupe suchen. Wie soll das gehen?

HEBEIN: Wir probieren gerade, das herauszufinden.

Was muss bis zum 8. November feststehen, damit die Grünen sagen: Wir starten Koalitionsgespräche?

HEBEIN: Wir haben den Weg der Sondierungen gewählt, gerade weil wir so weit auseinander liegen, um zu schauen, wo Brücken sind. Ich halte das für einen guten Weg, weil er auch ein ehrlicher ist.

Die Wiener Grünen sind gewichtig, aber auch gefürchtet. In der ÖVP wird vor den Wiener Grünen gewarnt, vor Ihnen, dass Sie sehr links sind. Was ist da dran?

HEBEIN: Ich mach seit neun Jahren Realpolitik mit der SPÖ. Demokratie lebt von Kompromissen. Dass ich eine Grundhaltung habe, wo’s mir drum geht, was für eine Zukunft ich unseren Kindern überlassen kann, ist unbestritten. Der Kampf gegen Kinderarmut ist ein Herzensanliegen, beim Klimaschutz drängt die Zeit. Ich bin seit 120 Tagen Vizebürgermeisterin und erlebe, was alles gemeinsam möglich ist. Stichwort Wirtschaftskammer: Vor fünf Jahren Kritiker der Mariahilfer Straße, versuchen wir gemeinsam, solche Begegnungszonen in jedem Bezirk zu schaffen.

Apropos Kinderarmut: Muss die ÖVP ihre Sozialhilfereform zurücknehmen?

HEBEIN: Rote Linien werden Sie keine hören. Das wäre unprofessionell. Dass am Ende des Tages Maßnahmen stehen sollen, die die Kinderarmut lindern, ist unbestritten. Wie, darüber werden wir Gespräche führen.

Welche unausweichlichen Maßnahmen müssen beim Klimaschutz getroffen werden?

HEBEIN: Es geht zum jetzigen Zeitpunkt nicht um einzelne Maßnahmen, sondern darum, die Klimakrise in ihrer Dringlichkeit anzuerkennen.

Wie will man einen Kompromiss bei der Dritten Piste, der Waldviertelautobahn oder anderen Großprojekten schaffen?

HEBEIN: Klimaschutz ist nicht auf eine Maßnahme beschränkt. Unsere Haltung ist bekannt, jetzt müssen wir Gespräche drüber führen, ob und wie wir einander begegnen. Wir tragen Verantwortung für die Zukunft.

Was halten Sie von der Idee der Leuchtturmprojekte? Vier türkise und vier grüne? Es gebe dann eine grüne und eine türkise Handschrift.

HEBEIN: Und man begegnet sich gelegentlich auf einen Kaffee? Nein, am Ende des Tages wird es entscheidend sein, was schaffen Türkis und Grün gemeinsam. Das loten wir gerade aus.

Sie sind ja eine erfahrene Verhandlerin: Was macht eine gute Verhandlung aus?

HEBEIN: Dann aufzustehen, wenn's für beide passt.

Wie kann man klimapolitisch mehr verändern? In der Regierung oder in der Opposition?

HEBEIN: Nachdem ich selbst neun Jahre in der Regierung sitze, ist klar, dass ein anderer Gestaltungsspielraum vorhanden ist.

Wenn Türkis-Grün scheitert, wie bitte wäre das?

HEBEIN: Meine Art ist es nicht zu sagen: Sollen sie einmal sondieren, und danach rege ich mich auf. Das ist nicht mein Zugang zu Politik. Es lohnt sich mehrere Runden in Gesprächen zu drehen, wenn am Ende ein gutes Ergebnis steht. Wir Grünen haben noch keine Regierung aufgelöst.

Verantwortung tragen würde unter Umständen auch heißen, ein Ministeramt zu übernehmen. Kommt das für Sie infrage?

HEBEIN: Die Frage stellt sich nicht. Ich bin gerne Vizebürgermeisterin.

Haben Sie Sorge, dass Türkis-Grün die rot-grüne Zusammenarbeit in Wien belasten?

HEBEIN: Nein, warum? Wir arbeiten gut zusammen, haben noch einige Vorhaben, arbeiten zum Beispiel gerade am Klimabudget. Wir arbeiten für Wien.

Für Rot-Grün wäre es günstiger, wenn Türkis-Blau im Bund regiert. Ist das ein strategisches Dilemma?

HEBEIN: Türkis-blau hat weder Wien noch dem Land gut getan. Dass eine neue Regierung – wie sie auch aussehen mag - Auswirkungen auf Wien haben wird, ja. Welche werden wir sehen.