Vor hundert Jahren wurde das Betriebsrätegesetz in Österreich beschlossen. Der Gegner war damals der Klassenfeind, die Unternehmer. Wer ist heute Ihr Gegner?

WOLFGANG KATZIAN: Es gibt nach wie vor einen unmittelbaren Interessensgegensatz zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, die daran interessiert sind, selbst möglichst viel Geld zu verdienen und möglichst gute Arbeitszeiten zu haben, etc. Die Frage ist: Wie trägt man solche Gegensätze aus?

Und wie kämpft man den Kampf mit sich selbst, als Ein-Personen-Unternehmer etwa, der sich selber ausbeutet?

Da werden wir als Gewerkschaftsbewegung insgesamt viel ausprobieren müssen. Wir haben schon begonnen, zum Beispiel damit, „Crowdworking-Plattformen“ zu bespielen. Wir versuchen, den Leuten klar zu machen, dass sie gegeneinander ausgespielt werden, dazu gebracht, sich gegenseitig zu unterbieten, sodass sie am Ende die Verlierer sind.

Früher konnte man alle auf ein gemeinsames Thema einschwören, Flexibilisierung zielt auf den Einzelfall. Wie kann die Gewerkschaft noch von Nutzen sein?

Nehmen Sie die Arbeitszeit. Da braucht es im Gesetz Eckpfeiler, aber keine Detailregelungen. Wir haben 450 Kollektivverträge in Österreich, dort wird die Arbeitszeit im Detail definiert, aber nicht so eng gefasst, dass man nicht auf der betrieblichen Ebene noch Spielraum hätte. Wir haben heute Betriebe mit bis zu 600 verschiedenen Arbeitszeitmodellen innerhalb dieses einen Unternehmens.

Wo ist in der Gesellschaft von morgen der Platz für ungelernte Arbeiter, die nicht Schritt halten können mit der Digitalisierung?

Das eine ist Qualifizierung. Da geht noch mehr. Und es gibt die klassische Verkäuferin, die man nicht innerhalb kurzer Zeit zu einer Systemanalytikerin machen kann. Da fällt mir natürlich sofort die Pflege ein. Da ist der Bedarf riesengroß.

Welche Möglichkeiten hat der Berufskraftfahrer, wenn künftig autonom gefahren wird, der „Packelschupfer“, der durch automatisierte Anlagen ersetzt wird?

Qualifizierung und Bildung sind die Schlüsselfrage. Aber wir müssen auch auf die Jungen schauen, die wir in die Schulen schicken. Da geht es um die Fähigkeit, sich selbst auf neue Situationen einzustellen. Ich würde so gern einmal eine Bildungsdiskussion über Inhalte führen, nicht immer nur über Strukturen. Was wollen wir unseren Kindern mitgeben, auch als soziale Wesen in einer Gesellschaft? Genügt es uns, wenn sie ein Computer-Kastl bedienen können? Es gibt viele engagierte Lehrer, die ihren Kindern mehr beibringen, als ein Ipad zu bedienen, die sie auf das Leben in einer globalen Gesellschaft vorbereiten. Das wünsche ich mir, und keine Schule, die „soziale Arschlöcher“ produziert, auf Wienerisch gesagt.

Es wird viel diskutiert über ein Grundeinkommen für jene, für die es keinen Arbeitsplatz mehr gibt. Die Politik weicht dem Thema aus.

Wir müssen uns dieser Diskussion stellen, aber wenn ich die jüngsten Studien zum Verdrängungswettbewerb lese, geht es auch um die Frage: Was tut denn die Gesellschaft mit Menschen, die sie nicht braucht, die auch die Unternehmen nicht brauchen? Hält man die nur beschäftigt, mit Videospielen, etc? Was passiert, wenn die sich zusammentun und sagen: Wir wollen nicht mehr unnütz sein?

Gibt es eine Alternative zur Finanzierung nicht-marktfähiger Arbeit, die zuletzt wenig geschätzt wurde?

Faktum ist, dass das Vermögen nach wie vor ungleich verteilt ist. Wir wollen, dass sich etwas ändert, obwohl die Vermögenden sich heute weltweit die Politik kaufen können. Das geht nur, indem Du einen Druck der Zivilgesellschaft aufbaust.

Warten auf eine neue "Revolution der Massen"?

Da brauchen wir nicht lange warten. Vorige Woche haben wir den ÖGB-Sommerdialog gestartet, das sind Veranstaltungen zu verschiedenen Themen, wo wir darüber reden, was wir schon beschlossen haben und Gästen aus der Zivilgesellschaft zuhören. Beim Thema Klima haben wir Fridays for Future dabei gehabt, Global 2000, etc. Da sind unglaublich engagierte Leute dabei. Das sind viele, und sie sind weltweit unterwegs. Auch sie stellen ganz stark die Verteilungsfrage.

Sie haben Ihr Mandat im September 2018 zurückgelegt. Tat Ihnen der Verzicht auf das Mandat zwischendurch schon einmal leid?

Nein, keine einzige Minute. Ich hatte mir vorgenommen, die Funktion überparteilich anzulegen, ich kandidiere diesmal auch auf keiner Liste. Es geht darum, eine starke Organisation zu bauen und unsere durchzusetzen, innerhalb der Organisation und auf Sozialpartnerebene – schauen wir einmal, ob das wieder funktioniert.

Und wenn nicht?

Dann sind wir dabei, den ÖGB so aufzustellen, dass er wieder stärker als in der Vergangenheit gegenmachtsfähig wird. Da brauche ich aber kein Parlament dazu.

Wir stehen vor einer Nationalratswahl, und bei Wahlen geht es zunehmend auch um Personen. Sind Sie selbst eigentlich ein Machtmensch?

Ja, absolut. Macht ist etwas Positives, du brauchst Macht um etwas zu verändern. Es kommt nur darauf an, wofür man sie einsetzt. Das ist wie mit dem Messer. Du kannst Dir damit eine Scheibe Brot abschneiden, oder jemanden abstechen.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz wird auch nachgesagt, dass er ein Machtmensch ist. Schlecht?

Falsch ist da gar nichts dran. Die Frage ist nur: Wenn ich die Macht habe – wie behandle ich dann die, die von Maßnahmen in meiner Macht betroffen sind? Versuche ich die einzubinden, einen gemeinsamen Weg mit ihnen zu finden? Oder sage ich: Habt’s mich gern, weil ich weiß es besser. Der Herr Altbundeskanzler hat die Macht für sich und für seine Überlegungen genützt, aber nicht den Dialog mit denen aufgenommen, die nicht dasselbe vertreten. Wenn ich das auch täte, könnte ich mit keinem Arbeitgeber reden.